Zwangsarbeit für das BA: Reicht es nun endlich für eine öffentliche Erinnerung?
Zum bisherigen Stand:
Dreizehn Monate, nachdem öffentlich bekannt wurde, daß es in der Wilhelmsaue in Wilmersdorf ein Zwangsarbeiterlager des Bezirksamtes gab, hat nunmehr auch die Gedenktafelkommission (GTK) auf ihrer Sitzung vom 16.2.2016 akzeptiert, daß sich dort eines befand – aber wo nur? Und wer betrieb
es? (1)
Wo: Um ganz sicher zu gehen, daß die bisher bekannte Hausnummer 40 wirklich stimmt, beauftragte die GTK das Bezirksamt (= Leiterin des Kunstamtes, selbst Mitglied der GTK), bei der Wehrmachtsauskunftsstelle (WASt) nachzufragen.
Allerdings ist dort auch nach über drei Wochen ihre Anfrage nicht eingegangen. Der Grund dafür ist wahlweise a) daß der Beauftragten dies wegen sonstiger Aufgaben bisher einfach noch nicht gelungen ist – Überlastung! – oder b) weil man im Bezirksamt (= Kulturstadträtin) etwas falsch verstanden (?) hat (so ihre Auskunft auf der Sitzung des Kulturausschusses am 2.3.2016) – Mißverständnis! Um diese inneren Reibungsverluste behördlicher Tätigkeit zu mildern, habe ich lieber selbst angefragt. Das Ergebnis:
Die Liste des Polizeireviers 151 vom 11.1.1946 aus der Akte „Ausländer, die in Berlin polizeilich gemeldet waren“, enthält tatsächlich eine Vielzahl von Eintragungen für Wilhelmsaue 39/40.
Die mir vorliegende (nicht zur Veröffentlichung freigegebene) Kopie habe ich an die Mitglieder der GTK und das Bezirksamt (= Bürgermeister) weitergeleitet. Damit wäre wenigstens dieses Verifizierungsproblem gelöst. (Falls die GTK sich außerdem noch Kopien von der WASt zuschicken lassen möchte, bedarf es jedoch „einer offiziellen Anfrage einer Behördeneinrichtung mit Angabe des Verwendungszwecks“ (Email der WASt an Verf.). Mein Vorschlag: dies am besten gleich umgehend zu machen, ehe böse Zungen den Vorwurf der Verschleppung erheben könnten.)
Betreiber: Bleibt also noch die Frage nach dem Betreiber. Gut, daß es zwei Dokumente (2) gibt, die für jedermann erkennbar belegen, daß das Bezirksamt Wilmersdorf nicht nur 1. sich selbst als Betreiber bezeichnete, sondern 2. selbst den Arbeitseinsatz der Zwangsarbeiter gemäß seinen eigenen Verwaltungsinteressen regelte – und niemand anders.
der Reichshauptstadt Berlin vom 30. April 1944 an die Herren Dienststellenleiter
(Archiv Museum Charlottenburg-Wilmersdorf, 3962-1)
Aber warum verweigerte dann das Bezirksamt (= Bürgermeister) am 16.2. ein klares Ja auf die Frage, ob es seine historische Verantwortung übernehmen und selbst vor Ort für ein Gedenken an die Zwangsarbeiter seiner Vorgänger sorgen werde? Warum erklärte der führende Sozialdemokrat des Bezirkes in diesem Zusammenhang gar, sein Vorgänger sei „nur der verlängerte Arm der Gauleitung“ gewesen? Das klingt doch arg nach ‚fehlender Verantwortung des Bezirksamtes‘ – damals und folglich auch heute. Und dann noch sein Hinweis auf die heutige „demokratische Arbeitsteilung“, wo „alle gemeinsam eine Entscheidung treffen“ und nicht etwa das Bezirksamt allein – wen soll das überzeugen? Zumal bei einem Gremium, das sich doch oft genug über die Beschlüsse der BVV und selbst über einen Bürgerentscheid hinwegsetzt? Das klingt eher so, als ob da jemand die Verantwortung scheut und sich drücken will.
Und die Gedenktafelkommission? Wird sie bei ihrer nächsten Sitzung wieder jemanden mit einer Anfrage beauftragen? Vielleicht wieder das Bezirksamt? Oder wird sie sich doch auf den allgemein anerkannten Grundsatz besinnen, der gerade auch in NS-Prozessen zur Anwendung kommt, daß Täter ist, wer etwas tut – ob nun zum Beispiel als untergeordnetes Wachpersonal oder als Verantwortlicher, der Ausländer zum Arbeiten zwingt für einen verbrecherischen Staat, der ihr Heimatland unterdrückt?
P.S. Selbstverständlich soll diese Erinnerung in der Wilhelmsaue nicht weitere Erinnerungen an Zwangsarbeiter – sei es des Bezirksamtes Charlottenburg, der Industrie und des Staates – ausschließen.
MichaelR
(1) Vgl. dazu den Abschnitt „Wie funktioniert die Verschleppungstaktik in der Praxis?“
(2) Siehe b) im Abschnitt „Wie funktioniert die Verschleppungstaktik in der Praxis?“
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 10. März 2016 - 00:02
Tags: gedenken/nationalsozialismus/stadtgeschichte/zwangsarbeit
vier Kommentare
Nr. 2, jn, 12.03.2016 - 15:35 aufforderung zum reinhören: http://www.deutschlandradiokultur.de/dok.. http://www.dz-ns-zwangsarbeit.de/aktuell.. http://www.dz-ns-zwangsarbeit.de/zeitzeu.. http://www.difu.de/publikationen/difu-be.. http://www.bpb.de/geschichte/nationalsoz.. |
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Politik & Biographie – Einladung zum Gesprächsabend “Gedenkkultur in Charlottenburg-Wilmersdorf” mit Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann
..auf dass die zivilgesellschaft mal dem bürgermeister die“meinung” sagt….