Schmierenkomödie? – Eine Klarstellung
Das von der BezStRin Schmitt-Schmelz (SPD) teilweise verlesene Schreiben behandelt keinen neuen Standort des »vom Stadtbezirk eingerichteten und betriebenen städtische(n) Ausländerlager für Arbeitsleistungen im Verwaltungsinteresse«,
denn:
Die von mir aufgenommene Sichtung von GBI Unterlagen im Bundesarchiv – und hier besonders der: »Zentrale Unterkunftsnachweis des GBI« – ergab bisher, dass kein Lager mit der Bezeichnung »städtische(s) Ausländerlager für Arbeitsleistungen im Verwaltungsinteresse« des Stadtbezirks Wilmersdorf mit der Anschrift »Wilhelmsaue 40« in den eingesehenen Dokumenten von 1942 und 1943 aufgeführt wird.
»Warum ist die Hausnummer 40 von so großer Bedeutung? Wofür steht sie? Dort befand sich nicht nur ein „normales“ Zwangsarbeiterlager, sondern das durch Dokumente nachgewiesene Lager des Bezirksamts Wilmersdorf«, schreibt MichaelR. Damit widerspricht er sich selbst hier mehrfach. Er führte aus: »Offiziell gab es die Hausnummer 40 nicht.« 1
Die Hausnummer »Wilhelmsaue 40« ist als offizielle Hausnummer erst seit 1946 nachweisbar. Die Bauakte von 1952 bis 1969 ohne schriftliche Hinweise auf vorherige Nutzung im Landesarchiv Berlin B Rep. 209 Nr. 2715 als Nachweis der Hausnummer »Wilhelmsaue 40« auch in der NS-Zeit anzuführen, ist unwissenschaftlich und strikt abzulehnen.
Zugleich weist Herr MichaelR selbst in seiner Erarbeitung »Zwangsarbeit für das Bezirksamt Wilmersdorf« im BGW Rundbrief 15/1 darauf hin: »[…] Auf allen amtlichen Karten von 1931 bis 1943 […] ist beim Grundstück Wilhelmsaue 39-41 „Kinderheim“ vermerkt« und „[…] Tatsächlich handelte es sich um ein einheitliches Grundstück mit der Nummer 39-41.« 2
Diese Aussage wird durch die Eintragungen in den Adressbüchern von Wilmersdorf bestätigt, in denen das Grundstück seit 1908 als Wilhelmsaue 39 / 41 geführt wird. So vermeldet u.a. das Adressbuch Berlin, 1942 »Wilhelmsaue 39 / 41 Spielschule. Eigentümer: Stadt Berlin. Büro u. Fuhrpark der Städt. Reinigung. T. Kinderheim.“« 3
Aber auch Cord Pagenstecher (Berliner Geschichtswerkstatt), der die Listen der Berliner Gesundheitsämter – also auch die Liste des Gesundheitsamtes Wilmersdorf vom 30.11. 1942 – bewertete, stellte fest: »[…] Häufig sind die Angaben zu Adressen und Ärzten lücken- und fehlerhaft«. 4
Diese zur Berichtigung an alle Bezirke, also auch an Wilmersdorf, zurückgewiesenen Listen sind die Grundlage der These von Herrn MichaelR über ein vom Stadtbezirk Wilmersdorf auf städtischem Boden (also der Reichshauptstadt Berlin gehörend!– Anm. d. Verf.) eingerichtetes und betriebenes „städtische(s) Ausländerlager für Arbeitsleistungen im Verwaltungsinteresse“ in der Wilhelmsaue 40.
Aus diesen Gründen ist es sehr unwahrscheinlich, dass in den verschiedensten Unterlagen des Bundesarchivs, des Landesarchivs oder anderer Einrichtungen Hinweise bzw. Dokumente über ein »vom Stadtbezirk eingerichtetes und betriebenes städtisches Ausländerlager für Arbeitsleistungen im Verwaltungsinteresse« am Standort Wilhelmsaue 40 zu finden sind.
Ist das Schreiben des Bezirksbürgermeister des Verwaltungsbezirks Wilmersdorf“ vom 30.4.1944 5 ein Beweis dafür, dass das Bezirksamt ein „städtisches Ausländerlager für Arbeitsleistungen im Verwaltungsinteresse“ in der Wilhelmsaue 40 betrieb?
Diese Frage ist einfach und eindeutig zu verneinen, denn in diesem Dokument gibt es keine Angabe einer Adresse.
Herr MichaelR führte unter Punkt 3d seiner Erarbeitung für den Kulturausschuss am 14.02. 2017 aus: »[…] Konnte das Bezirksamt ein eigenes Lager betreiben? – Das Lager wurde vom Bezirksamt Wilmersdorf betrieben. […] Zum anderen folgt dies aus einem Schreiben des Bezirksbürgermeisters vom April 1944. […] Darin rügt er den ungeregelten Einsatz der „Insassen des Ausländerlagers“ und bestimmt: „Ich behalte mir daher den Arbeitseinsatz der Ausländer selbst vor.“« Mehr nicht. Aus der Betreffzeile ging eindeutig hervor, dass es um den Einsatz ausländischer Arbeiter eines im Dokument nicht näher benannten städtischen Lagers handelt.
Entscheidend für die Diskussion ist dann aber u.a. die darauffolgende Anweisung des damaligen Bezirksbürgermeisters an seine Dienststellen (im gleichen Dokument): »[…] Anträge auf vorübergehende Zuweisung solcher Kräfte zum Arbeitseinsatz sind künftig mindestens drei Tage vor eintretenden Bedarf […] zur Einholung meiner Entscheidung vorzulegen.« 6
Dazu müssen die „Uebersichten über den Personalbestand in der Berliner Verwaltung während des Krieges, enthaltend genaue statistische Angaben 1941 – 1945. Ausländereinsatz der Stadt Berlin / der Bezirksämter ohne städtische Gesellschaften“ herangezogen werden. 7 Hier liegen auch einige Antworten auf viele durch Herrn MichaelR ignorierte Fragen.
So geht aus der o.g. Akte des Landesarchivs Berlin eindeutig hervor, dass der Arbeitseinsatz ausländischer Zivilarbeiter in der Berliner Stadtverwaltung, in den Bezirksämtern und den städtischen Eigenbetrieben und – gesellschaften zentral von der Stadtverwaltung und nicht in den Bezirken und städtischen Gesellschaften organisiert war. Alle ausländischen Arbeitskräfte in der Berliner Stadtverwaltung, in den Bezirksämtern und den städtischen Eigenbetrieben und – gesellschaften standen »in einem Arbeitsvertrag bei der Stadt« 8 und nicht in einem Arbeitsverhältnis mit den Bezirksämtern bzw. den städtischen Eigenbetrieben und – gesellschaften. In sämtlichen bisher gesichteten Unterlagen über den Einsatz ausländischer Zivilarbeiter vom Zeitraum April 1941 bis Oktober 1944 wird darauf unter der Rubrik »Vollbeschäftigte Arbeiter“ hingewiesen. 9
Über den „Arbeitseinsatz ausländischer Arbeiter“ entschied allein das Hauptpersonalamt. Dort mussten die Anträge auf Zuweisung von „ausländischen Zivilarbeitern“ von den Bezirken und städtischen Gesellschaften gestellt werden. Es waren in Wilmersdorf lt. Schreiben vom 30.04. 1944 sozusagen Unregelmäßigkeiten beim Einsatz „ausländischer Zivilarbeiter“ aufgetreten, welche den Bezirksbürgermeister veranlassten, die Antragsstellung sozusagen zur „Chefsache“ zu erklären.
Es ist auf Grund der Einsatzorganisation von „ausländischen Zivilarbeitern“ der Berliner Stadtverwaltung nicht zulässig, dass aus »Betrifft: Einsatz von Ausländern des städtischen Ausländerlagers für Arbeitsleistungen im Verwaltungsinteresse« ein »vom Stadtbezirk eingerichtete(s) und betriebene(s) städtische(s) Ausländerlager für Arbeitsleistungen im Verwaltungsinteresse« gemacht wurde.
Die „ausländischen Zivilarbeiter“ waren überwiegend in städtischen Arbeitslagern – auch bekannt unter dem Begriff: »Wohnlager auswärtiger Arbeiter der Reichshauptstadt Berlin« – untergebracht, welche der »Kontingentstelle des Oberbürgermeisters für Arbeitseinsatz« unterstanden. 10
Diese bereits seit 1938 eingerichteten Lager sind 1941 (16 städtische Lager) im Telefonbuch der Reichshauptstadt aufgeführt. 11
Am 10.10. 1944 lassen sich für unter Verwaltung der Stadt stehend:
4 Betriebe mit eigenem Kriegsgefangenenlager, 58 Gemeinschaftslager und zusätzlich 34 Russenlager nachweisen. 12
Es ist außerdem nachweisbar, dass der Kindergarten Wilhelmsaue mindestens bis Herbst 1944 im Betrieb war. Danach haben wir eine bisher nicht mit Dokumenten schließbare Lücke bis Mai 1945.
Die von Herrn Karwelat vorgelegten Listen könnten darauf hindeuten, dass der Kindergarten nach seiner Nutzung als Durchgangslager für heimgekehrte Kriegsgefangene, Flüchtlinge und Vertriebene ab Mai 1945 später auch als Unterkunft für vormalige „ausländische Zivilarbeiter“ genutzt worden sein könnte.
Bisher ungeklärt ist die Differenz zwischen den Arbeitseinsatzzahlen der „ausländischen Zivilarbeiter“ nach den Unterlagen des Hauptpersonalamtes der Stadt Berlin und der KOST-Listen, die nicht vollständig eingesehen werden konnten. Das Anwachsen von 16 städtischen Lagern auf 58 Gemeinschaftslager bedarf ebenfalls der weiteren Klärung, da deren Standorte z. Zt. nicht alle eindeutig bekannt sind. Des Weiteren ungeklärt ist der Status der in Berlin regulär auch schon vor 1939 lebenden Ausländer und der in Berlin arbeitenden Vertragsarbeiter verbündeter Staaten und Organisationen.
Auf Grund der Kenntnisse der Arbeitsorganisation des städtischen „Ausländereinsatzes“ in der Stadt Berlin, in den einzelnen Bezirken sowie den Städtischen Gesellschaften muss auch ein noch 1944 bestehendes »vom Stadtbezirk eingerichtetes und betriebenes städtisches Ausländerlager für Arbeitsleistungen im Verwaltungsinteresse« als nicht existent bezeichnet werden.
Für den Nachweis, dass es ein „städtisches Arbeitslager“, betrieben durch den Bezirk Wilmersdorf am Standort „Wilhelmsaue 40“, gab, fehlen bisher konkrete Dokumente, die diesen Standort eindeutig benennen.
Es muss ebenfalls beachtet werden, dass Einrichtungen der Bezirke stets als solche bezeichnet wurden und Einrichtungen der Stadt (entspricht heute ungefähr dem Land Berlin) als städtische angeführt sind. Ein Bezirksamt konnte auch im Zeitraum 1933 – 1945 keine „städtische Einrichtung“ schaffen und betreiben oder eine bezirkliche Einrichtung als städtische Einrichtung bezeichnen. Das galt schon seit dem Groß-Berlin-Vertrag 1920 und gilt auch nach der Befreiung und dem Wiederaufbau demokratischer Verwaltungsstrukturen seit Mai 1945 bis heute. Dieser allgemein gültige Grundsatz wurde weder durch Herrn MichaelR noch Herrn Karwelat berücksichtigt oder mit Dokumenten widerlegt.
Am Ende dieser Ausführung muss aber auch festgestellt werden, dass der Bezirk Wilmersdorf, der auf städtischem Gebiet ein bezirkseigenes städtisches Lager in der Wilhelmsaue 40 eingerichtet und betrieben haben soll, zum gleichen Zeitpunkt bezirkseigene Grundstücke zur Errichtung von Ausländerlagern in besonderem Reichsinteresse an die Stadt Berlin und den GBI bis zum „Endsieg“, wenn auch gegen Pacht, übergeben musste (z.B. GBI-Lager Nr. 22 Lochowdamm / Ecke Cunostraße). Die Verträge sind im Landesarchiv einsehbar.
1 Erarbeitung für den Kulturausschuss am 14.02. 2017: »Ohne Orte, an denen die Geschichte sichtbar wird, geht die Erinnerung verloren«
2 BGW Rundbrief 15/1. S. 14.
3 Adressbuch Berlin, 1942. IV. Teil S. 1409.
4 Pagenstecher, Cord: Lagerlisten und Erinnerungsberichte. Neue Quellen zur Topographie und ärztlichen Betreuung der Berliner Zwangsarbeiterlager, in: Andreas Frewer/Günther Siedbürger (Hg.), Medizin und Zwangsarbeit im Nationalsozialismus. Einsatz und Behandlung von „Ausländern“ im Gesundheitswesen, Ffm./N.Y. (Campus) 2004, S. 91-107
5 Archiv Museum Charlottenburg-Wilmersdorf 3962-1 [Kopie]
6 Archiv Museum Charlottenburg-Wilmersdorf 3962-1 [Kopie]
7 „Uebersichten über den Personalbestand in der Berliner Verwaltung während des Krieges, enthaltend genaue statistische Angaben 1941 – 1945. Ausländereinsatz der Stadt Berlin / der Bezirksämter ohne städtische Gesellschaften“ des Landesarchiv Berlin / Bestand: A Rep 001-02 Bd. 3333.
8 „Uebersichten über den Personalbestand in der Berliner Verwaltung während des Krieges, enthaltend genaue statistische Angaben 1941 – 1945. Ausländereinsatz der Stadt Berlin / der Bezirksämter ohne städtische Gesellschaften“ des Landesarchiv Berlin / Bestand: A Rep 001-02 Bd. 3333.
9 „Uebersichten über den Personalbestand in der Berliner Verwaltung während des Krieges, enthaltend genaue statistische Angaben 1941 – 1945. Ausländereinsatz der Stadt Berlin / der Bezirksämter ohne städtische Gesellschaften“ des Landesarchiv Berlin / Bestand: A Rep 001-02 Bd. 3333.
10 Angelegenheiten der Haupttiefverwaltung 1938 / 1942. Arbeitsplanung 29.08. 1941. in: Landesarchiv Berlin / Bestand: A Rep 010-01-02. Nr. 2564. Bl. 43.
11 Amtliches Fernsprechbuch für den Bezirk der Reichspostdirektion Berlin, 1941. S. 1284 u. Nachtrag Berichtigung S. 36.
12 „Uebersichten über den Personalbestand in der Berliner Verwaltung während des Krieges, enthaltend genaue statistische Angaben 1941 – 1945. Ausländereinsatz der Stadt Berlin / der Bezirksämter ohne städtische Gesellschaften“ des Landesarchiv Berlin / Bestand: A Rep 001-02 Bd. 3334.
Stefan Knobloch - Gastautoren, Geschichte - 11. Juli 2017 - 00:26
Tags: bezirksamt/gedenken/nationalsozialismus/zwangsarbeit
fünf Kommentare
Nr. 4, M.R., 17.07.2017 - 21:54 An die Politiker im Bezirk, die seit 2 1/2 Jahren die Erinnerung an die Zwangsarbeiter des BA Wilmersdorf in der Wilhelmsaue 40 verhindern: Sie haben sich seit 2 1/2 Jahre des Herrn K. bedient, ganz im Sinne der Vorgabe von BzBm Naumann Februar 2016 in der Gedenktafelkommission, daß seine Amtsvorgänger nur „der verlängerte Arm der Gauleitung“ gewesen seien ( http://blog.klausenerplatz-kiez.de/archi.. ) – ganz so, als seien sie Marionetten ohne Verantwortung gewesen, und der Bezirk habe damit gar nichts zu tun. An Ihnen Damen und Herren Politiker liegt es, daß 2 1/2 Jahre vergeudet wurden, statt die Geschichte der Zwangsarbeit im Bezirk aufzuarbeiten – 2 1/2 Jahre, in denen Sie nie ein Wort zum Leid von Zwangsarbeitern über die Lippen gebracht haben – dafür Winkelzüge und Herumschieberei der Verantwortung – schauen Sie nur: http://blog.klausenerplatz-kiez.de/tag/z... Es ist 72 Jahre nach Kriegsende höchste Zeit, daß die historische Verantwortung für die Untaten übernommen wird, und zwar vom Bezirksamt selbst. |
Nr. 5, jn, 19.07.2017 - 22:17 Empfehle die zahlreichen Artikel zur Zwangsarbeit im Nationalsozialismus, besonders die Äußerungen speziell zu den Charlottenburg-Wilmersdorfer Verhältnissen http://www.berliner-geschichtswerkstatt... |
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Herrn Knoblochs wiederholte und langatmige Ausführungen über das Nichtvorhandensein eines bezirklichen Zwangsarbeiterlagers unter der Adresse Wilhelmsaue 40 ermüden. Die Diskussion ist für Außenstehende kaum mehr nachvollziehbar.
Der Autor steckt seine ganze Kraft darin, immer wieder die Existenz eines Lagers an dieser Stelle zu bestreiten, ohne darauf einzugehen, dass es eine Reihe von Dokumenten gibt, die genau dies belegen. Es genügt keinesfalls seine Argumentation, dass Dokumente aus der damaligen Zeit auch Fehler beinhalteten. Die Indizienlage ist eindeutig.
Die wissenschaftlichen Experten in der Stadt, u.a. Frau Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums Zwangsarbeit in Berlin, haben die Dokumente gewürdigt und als eindeutigen Beleg für die Existenz eines bezirklichen Lagers in der Wilhelmsaue 40 erkannt. Zu dem Ergebnis waren auch die Experten der Berliner Geschichtswerkstatt gekommen, auch der von Herrn Knobloch mehrfacht vereinnahmte Cord Pagenstecher.
Die Berliner Geschichtswerkstatt hat den Bezirk schon vor einem Jahr aufgefordert, endlich zu handeln und sich zu der Verantwortung des damaligen Bezirks Wilmersdorf zu bekennen. Die Anbringung einer Gedenktafel in der Wilhelmsaue 40 ist überfällig.
Jürgen Karwelat