Isang Yun
Isang Yun (1917-1995) ist heutzutage ein weniger bekannter Komponist. Das war Ende der 1960er Jahre anders, als er durch seine Entführung ins allgemeine Bewußtsein der Deutschen getreten war. In den 1980er Jahren dann „schien er ins Repertoire der Abonnementskonzerte einzugehen. Zusammen mit Pierre Boulez und vielen anderen gehörte er zur Avantgarde, war aber eher randständig‟, stellt Walter-Wolfgang Sparrer fest – Leiter der Isang Yun Gesellschaft*, die 1996 gegründet wurde, um die Erinnerung an Isang Yun wachzuhalten und die Aufführung seiner Werke zu fördern.
Stationen seines Lebens
Isang Yun wurde 1917 nahe der Hafenstadt Tongyeong geboren. Zu dieser Zeit war Korea eine Einheit, wenn auch seit 1905 als japanische Kolonie.** Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es von USA und Sowjetunion geteilt, und Tongyeong lag nun in Südkorea. Diese wechselnden politischen Konstellationen haben in Isang Yuns Leben mehrfach eine Rolle gespielt. „1943 verhaftete und folterte ihn die japanische Polizei, weil er entgegen dem Verbot, die koreanische Sprache zu benutzen, koreanische Lieder geschrieben hatte.‟ Im Juni 1967 kidnappte ihn der südkoreanische Geheimdienst an seinem Westberliner Wohnsitz, folterte und entführte ihn, zusammen mit 16 Landsleuten, nach Seoul, wo er vor Gericht gestellt wurde. „Man warf ihm vor, er sei ein nordkoreanischer Spion, weil er 1962 nach Nordkorea gereist war, um dort einen Bekannten zu treffen. Auch hatte er als Sprecher der Exilkoreaner 1961 gegen die Zerschlagung der Gewerkschaften nach der Machtübernahme von Park Chung-hee protestiert.‟ Unter Anwendung des Gesetzes zur Nationalen Sicherheit und des Antikommunisten-Gesetzes beantragte der Staatsanwalt gegen ihn das Todesurteil; er wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt, die in den folgenden Instanzen schließlich auf zehn Jahre reduziert wurde. Im Februar 1969 entließ man ihn aus der Haft. Weltweite Proteste, darunter von Kollegen wie Igor Strawinsky und György Ligeti und dem Dirigenten Herbert v. Karajan, hatten zur Freilassung beigetragen. „Diese Erfahrungen ließen seine danach entstandenen Stücke tragischer und in der Textauswahl ernsthafter werden.‟ Ein Politikum blieb er gegen seinen Willen auch danach noch. Das zeigte sich ein Jahr vor seinem Tod: „1994 wollte er erstmals wieder nach Südkorea reisen. Aber diese Reise hat sich in letzter Minute aus politischen Gründen zerschlagen.‟
Seine Musik
1956 hatte Isang Yun den Kulturpreis der Stadt Seoul erhalten und war mit dem Preisgeld nach Europa gekommen, um am Pariser Conservatoire westliche Kompositionstechniken kennenzulernen. Seine musikalischen Aktivitäten hatten jedoch lange vorher begonnen. Ganz am Anfang stand eine kleine Zwischenmusik, die er mit vierzehn komponiert hatte und die in einem Kino seiner Heimatstadt aufgeführt wurde. Es folgte ein erstes Musikstudium in Japan, noch zu Kolonialzeiten, und nach Kriegsende in Südkorea die Tätigkeit als Musiklehrer von der Grundschule bis zur Universität.
Nach Paris setzte er unter anderem bei Boris Blacher sein Studium in Westberlin an der Hochschule für Musik, Vorgänger der heutigen Universität der Künste, fort. Und nach mehreren westdeutschen Zwischenstationen ließ er sich 1964 dauerhaft in Westberlin nieder. „Als Komponist ist Isang Yun sehr eigenständig und originell; die Klänge, die er erdachte oder hören wollte, sind von der Klangbildung der traditionellen koreanischen Musik beeinflußt. Er transformierte die koreanische Musiksprache in neue Musik für die Instrumente des westlichen Symphonieorchesters – eine anspruchsvolle und sehr virtuose Musik.‟
Was unterscheidet Isang Yuns Musik von der klassischen Musik Europas? „Ganz grundsätzlich: In der klassischen Konzertmusik werden Töne zu Motiven und einem Thema zusammengefaßt, und dieses Material wird bearbeitet und verändert. Hingegen geht Isang Yun vom einzelnen Ton aus. Typisch ist der lang ausgehaltene Ton, auch ‚Hauptton‘ genannt. Er wird wiederholt und durch Ornamente belebt. Der Hauptton wird wie ein Pinselstrich behandelt, wandert höher, kennt ein Ziel usw.‟
Isang Yuns Opus besteht aus etwa 120 Werken, darunter Kammermusik, Instrumentalkonzerte, Sinfonien und vier Opern. Eine dieser Opern, „Sim Tjong – Der wiedergeborene Engel‟ nach einer koreanischen Legende, war eine Auftragsarbeit der Bayerischen Staatsoper und wurde zum feierlichen Auftakt der Olympischen Spiele 1972 in München uraufgeführt. Er wurde vielfach geehrt, darunter mit dem Ehrendoktor der Universität Tübingen, dem Bundesverdienstkreuz, der Thomas-Mann-Plakette und der Goethe-Medaille des Goethe-Instituts.
Nord- und Südkorea
Auch in seinem geteilten Heimatland erfuhr er große Hochschätzung. In Nordkorea, wohin er seit 1980 jährlich reiste, fand seit 1982 das Isang-Yun-Festival statt, es wurde das Isang-Yun-Musikinstitut gegründet und später das Isang-Yun-Ensemble. Der Anstoß zur nordkoreanischen Rezeption war sein Orchesterstück ‚Exemplum in memoriam Kwangju’ gewesen, seine Reaktion auf das Massaker an Gegnern der Militärdiktatur in dieser südkoreanischen Stadt im Jahr 1980.
Nach Südkorea hatte Isang Yun nie zurückkehren können. Jedoch wurde seit Gründung des Tongyeong International Music Festivals im Jahr 2000 sowie durch Interpretations- und Kompositionswettbewerbe die Erinnerung an seine Musik gepflegt. Als die südkoreanische ‚Sonnenscheinpolitik’ 2009 endete und an die Stelle der Annäherung zwischen beiden Koreas wieder Feindseligkeiten traten, wurde abermals ein politisch motiviertes Verbot seiner Musik ausgesprochen. Mit dem neuen Staatspräsidenten, einem Verehrer von ihm, trat 2017 eine erneute Wende ein. Die Präsidentengattin besuchte im Juli 2017 sein Ehrengrab in Gatow. Im März 2018 wurde seine Urne nach Tongyeong verlegt und Isang Yun konnte, entsprechend seinem Wunsch, endlich seine letzte Ruhestätte in seiner Heimat finden.
Die Isang Yun Gesellschaft
„Nach seinem Tod im November 1995 fragten wir uns: Was jetzt? Die Aufführung seiner Musik schien bedroht. Sie ist schwer zu spielen und überzeugt nicht, wenn sie schlecht aufgeführt wird.‟ So gründeten Freunde die Internationale Isang Yun Gesellschaft, um die Erinnerung an ihn wachzuhalten und die Aufführung seiner Werke zu fördern.
Walter-Wolfgang Sparrer ist ihr geschäftsführender Vorstand. Zur Zeit des Kennenlernens war er Journalist bei der Deutsche Welle, wo er in über 100 Sendungen neue Musikwerke vorstellte*** und Künstler porträtierte, darunter auch Isang Yun. In der Folge begann Walter-Wolfgang Sparrer für ihn Texte für Programmhefte und zu Uraufführungen zu schreiben und sich um die Darstellung seiner Musik in Publikationen zu kümmern. Schließlich wurden sie Freunde. „Er hatte eine ganze Reihe sehr uriger Freunde, auf die er sich verlassen konnte. Einen Manager, wie heute üblich, hatte er nie, nur einen Verlag: Bote & Bock.‟
MichaelR – Dieser Text wurde ursprünglich veröffentlicht im Heft April/Mai 2019 von KiezWilmersdorf, einer im 14. Jahr zweimonatlich erscheinenden Stadtteilzeitung.
HINWEIS: Nächstes Konzert mit Musik von Isang Yun (und anderen): Doppelkonzert für Oboe und Harfe mit kleinem Orchester, Kammermusiksaal, 1.6.2019
* Internationale Isang Yun Gesellschaft e.V. im Internet und Kontakt.
** Zur Geschichte Koreas im 20. Jahrhundert siehe Abriß der Geschichte Koreas von 918 bis 1953.
*** Das war der Anstoß für das von ihm herausgegebene Lexikon ‚Komponisten der Gegenwart’ (KDG), eine 10bändige Loseblattsammlung mit über 12.000 Seiten, in der von mehr als 200 Autoren fast 1.000 Musiker vorgestellt werden.
MichaelR - Gastautoren, Kunst und Kultur - 26. April 2019 - 23:28
Tags: komponist/konzert/korea
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