Wohnen in Berlin
Neues vom Berliner Senat und seinen "Entmietern" in der Wilhelmstraße
Vorab eine kurze Bemerkung zu einigen Begriffen. Die "ehrenwerte Gesellschaft"
spricht selbstverständlich in dem geschilderten Zusammenhang gerne von
„Freimachungsverfahren“ und „Sozialplanverfahren“. Die Bezeichnungen
klingen "feiner" und sollen ja auch dazu dienen, um vom eigentlichen Beweggrund abzulenken, das tatsächliche Geschehen zu verschleiern und zu beschönigen. Wir bleiben daher im
folgenden und auch weiterhin lieber bei den direkten Begriffen: Gentrifizierung,
Segregation, Verdrängung und Entmietung.
Wir hatten zuletzt am 23. Oktober 2012 vom Geschehen in der Wilhelmstraße berichtet. Die Presse hat sich mehrfach damit beschäftigt (Der Tagesspiegel vom 21.06.2012, hier mit einem 2. Artikel). Der Stern hat ausführlich Geschichte und Hintergründe recherchiert.
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Der kaufte der klammen stadteigenen Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) bis 2004 Block für Block die Luxus-Platte entlang der Wilhelmstraße ab. Ohne öffentliche Ausschreibung, wie die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte 2008 in einem geheim gehaltenen Gutachten monierte.
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Am 8. Juni dieses Jahres erhielten die Bewohner einen Brief vom Senat. Das „Freimachungsverfahren“ der Wohnungen solle sofort beginnen. Seitdem sitzt die Argus GmbH mit im Haus und versucht, die Mieter zum Auszug zu bewegen. Nun häufen sich die Beschwerden über erste Schikanen, hinterm Haus sammelt sich Sperrmüll, die Anlage verkommt.
Die Bewohner haben allerdings einen Trumpf, ein echtes Ass in der Hand: die Ergänzung, die ihnen als Anlage zum bestehenden Mietvertrag überreicht wurde, als die WBM die Häuser verkaufte. .......
Quelle: Stern, Nr. 43, 18.10.2012 (Artikel als PDF auf der Webseite der Bürgerinitiaitve Wilhelmstraße)
Der Berliner Senat hatte also bis 2004 die Häuser von der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) an einen Spekulanten verkaufen lassen. Im Juni dieses Jahres erhielten die Mieter die schriftliche Mitteilung des Senats, das sogenannte „Freimachungsverfahren“ würde beginnen. Gleichzeitig hatte der Senat noch zugelassen, daß den Anwohnern "Entmieter" auf den Pelz rückten. Sofort ging es los. Die taz bezeichnete das weitere Vorgehen mit „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ (Die Tageszeitung, 29.6.2012) und die Anwohner wandten sich mit einer verzweifelten Resolution an den Senat, worin sie quasi eine Verbreitung von Angst und Schrecken und Schikanen darlegten. Mittlerweile hatte sich die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in einem Schreiben vom 13. August 2012 bei den Mietern entschuldigt:
“Ich bedauere sehr, dass der Hinweis auf den teilweise bestehenden
zusätzlichen Kündigungsschutz nicht im Rundschreiben genannt (wurde) und
bitten das Versehen zu entschuldigen.”
Mehr geschah dann erstmal nicht.
Doch nun hat es eine bemerkenswerte Entwicklung gegeben.
Anwohner der Wilhelmstraße nahmen am 14. November an einer öffentlichen Sitzung des Bauausschusses im Abgeordnetenhaus teil.
Alle Parteien zeigten sich nach einem entsprechenden Antrag (Drucksache 17/0432) in der Sitzung einig: der Abriss muß verhindert werden. Die Bürgerinitiative berichtet auch davon: nun hoffen alle Parteien und auch der Senat auf die Bewohner, von ihrem Bleiberecht Gebrauch zu machen und den Zusagen der mit einem Sozialplan, alias Entmietung, beauftragten argus GmbH nicht zu vertrauen.
Wir fordern den Senat dazu auf, die Tätigkeit der argus GmbH sofort zu stoppen. Kein Anwohner muss ausziehen. Somit gibt es keine Grundlage für ein Sozialplanverfahren, das nur den spekulativen Gewinnerzielungsmaximierung des Eigentümers dient.
Wir protestieren gegen die Versuche der argus GmbH, Anwohner mit dem Hinweis zum Auszug zu bewegen, dass sie angeblich als letzte bleiben würden und nicht mehr in den Genuss von Hilfen kommen würden. Diese falsche, unpassende Aussage ist eine erhebliche Überschreitung des Auftrags der argus GmbH und beseitigt jeden Anschein von unparteiischer Beratung.
Staatssekretär Ephraim Gothe wollte Vorschläge zur Umsetzung der politischen Forderung aller Parteien auf der Bürgerversammlung am 22. November erläutern und sich ihren Fragen stellen - und das hat er inzwischen auch getan.
Der Tagesspiegel in einem Artikel vom 15.11.2012 u.a. dazu:
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Es sei Konsens im Senat, die Gebäude zu erhalten...
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Für die betroffenen Mieter hatte der Senat bereits ein sogenanntes Sozialplanverfahren eingeleitet, um ihnen den Umzug zu erleichtern. Davon rückte Gothe nun ab.
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Ein Fazit dazu fällt äußerst zwiespältig aus, um nicht zu sagen mit einem üblen Würgereiz.
Zuerst verkaufen sie Häuser aus dem landeseigenen Wohnungsbestand, dann "übersehen" sie angeblich Zusatzvereinbarungen in den Mietverträgen und akzeptieren den geplanten Abriss und den Beginn der Entmietung. Welches Ausmaß an Angst und Schrecken dort inzwischen verbreitet wurde, wird man sich als Außenstehender kaum vorstellen können. Und nun kommt auf einmal die Kehrtwende. Der Abriss solle nicht erfolgen und dementsprechend eine Entmietung auch nicht mehr nötig sein.
Da muß man erstmal tief durchatmen.
Auf der anderen Seite könnte man feststellen: besser spät als nie. Fehler einzugestehen und eine Wende einzuleiten, erfordert eine gewisse Größe. Eine Eigenschaft, die in der Politik so gut wie gar nicht mehr vorkommt. Staatssekretär Ephraim Gothe (SPD) hat dazu den Mumm besessen, sich den Mietern direkt auf einer Versammlung zu stellen. Das Abgeordnetenhaus und der Senat haben mit dem neuen Entschluß dem bisherigen Tun der "Vermieter" und "Entmieter" endlich den politischen Rückhalt entzogen.
Das lassen wir vorerst so stehen und werden das Geschehen weiter beobachten.
Vielleicht doch noch einen abschließenden Gruß an den Senat:
Sehr geehrter Staatssekretär Gothe,
Sie haben soeben den verantwortlichen Weg gefunden und sich auf die richtige Seite gestellt.
Bleiben Sie bitte dabei. Verkaufen Sie bitte nie wieder Häuser und Grundstücke an reine Spekulanten.
Ach ja, und lassen Sie bitte nie wieder zu, daß Anwohner schikaniert und von "Entmietern" belästigt werden.
Weitere Presseberichte:
* Berliner Woche vom 16.11.2012
* Berliner Kurier vom 28.06.2012
* Berliner Zeitung vom 16.11.2012
Die Bürgerinitiative Wilhelmstraße Berlin Mitte e.V. lädt herzlich ein:
Informations- und Diskussionsveranstaltung mit Kulturbeitrag gegen die Vertreibung der Bürger aus ihren Wohnungen.
>> Das Weber-Herzog-Musiktheater hat mit weiteren Anwohnern der Wilhelmstrasse zu dem Text des großen deutschen Dichters Georg Büchner ein kleines Theaterstück mit Musik erarbeitet. Die zweite Spielebene bedient sich der Mittel des Kabaretts. Die Pläne der großen Immobiliengesellschaften und die Haltung der Politiker in Hinsicht Vertreibung der Bürger aus den Innenstädten, werden am Beispiel der Abrisspläne der Wilhelmstrasse in Berlin-Mitte künstlerisch umgesetzt.
Im Anschluss an das Theaterstück (nach ca. 25 Minuten) wollen wir mit zusammen mit dem Publikum und Vertretern anderer Initiativen, Fachleuten und Politikern diskutieren. <<
Mittwoch, 28. November 2012 um 19:00 Uhr
Fabrik Osloer Straße (NachbarschaftsEtage)
Osloer Straße 12, 13359 Berlin-Wedding
- Gesellschaft, Politik - 26. November 2012 - 00:24
Tags: abriss/entmietung/gentrifizierung/mieten/wohnen
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