Hardt-Waltherr Hämer verstorben
Der Architekt und Stadtplaner Hardt-Waltherr Hämer ist am 27. September im Alter von 90 Jahren verstorben.
Presseberichte:
- Der Tagesspiegel vom 28.09.2012 "Zum Tod von Hardt-Waltherr Hämer - Retter von Kreuzberg"
- Berliner Zeitung vom 29.09.2012 "Gedenkminute für die Altbaufassade"
- BauNetz vom 28.09.2012 "Pate der behutsamen Stadterneuerung - Zum Tod von Hardt-Waltherr Hämer"
- Akademie der Künste trauert um Hardt-Waltherr (Gustav) Hämer
- Das Studentendorf Schlachtensee trauert um seinen Ehrenaufsichtsratsvorsitzenden Prof. Dr. Hardt-Waltherr (Gustav) Hämer
- Bund Deutscher Architekten "Nachruf für BDA-Ehrenmitglied Hardt-Waltherr Hämer"
- German-Architects - Hardt-Waltherr Hämer (1922-2012)
- Urbanophil "Hardt-Waltherr Hämer ist tot."
- Die Welt vom 13.04.2012 "Der "Retter von Kreuzberg" wird 90"
- Die Welt vom 13.04.2012 "Kreuzberg zum Träumen"
- taz vom 12.04.2012 "Gustav Hämer wird 90 - Der Löwe von Kreuzberg"
- brand eins - Soziale Innovation Folge 9: Stadtplanung
- Neue Züricher Zeitung vom 29.09.2012 "Kultur des Stadtraums"
- Deutscher Werkbund - 1985: Inernationale Bauausstellung (IBA) Berlin
- Der Spiegel 26/1980 - "Sanierung haut den Gesündesten um"
- Der Spiegel 37/1981 - "Spaltung in arm und reich"
Hardt-Waltherr Hämer war ein früher Anti-Gentrifizierer, so schreibt der Tagesspiegel. Er wird weiter als Retter von Kreuzberg angesehen. Das gilt auch für den Wedding und natürlich ist sein Wirken für unseren Kiez am Klausenerplatz unvergessen.
Von 1972 bis 1980 begleitete Hämer die Stadterneuerung im Sanierungsgebiet der Städtebaulichen Sanierungsmaßnahme Klausenerplatz (SCK) in Berlin-Charlottenburg; zunächst als Gutachter, sodann mit der Planung und Durchführung der Sanierung von 450 Wohneinheiten im Block 118 an der Schloßstraße (seitdem Hämer-Block genannt). Gemeinsam mit Bewohnern und Mieterinitiativen wurde ein Sanierungs- und Beteiligungsverfahren installiert, das einem großen Teil der Mieter bei erträglichen Mieten den Verbleib im Gebiet bzw. die Rückkehr in die zuvor genutzte Wohnung garantierte.
(Wikipedia - Hardt-Waltherr Hämer)
Mieter stören, so hatte Eva Schindele in ihrem Buch "Mieter stören. Alltag und Widerstand in einem Berliner Sanierungsgebiet" aus dem Jahr 1980 über das damalige Geschehen im Kiez am Klausenerplatz das Verhalten von Betonpolitik und bürgerferner Bürokratie beschrieben und zusammengefasst:
Freimachung. Entmietung. Umsetzung.
Begriffe, entstanden in den Amtsstuben und
Büros, ausgedacht von Bürokraten und
Planungsstrategen, für die Stadtteile nichts
weiter sind als Flächennutzungspläne,
Bebauungspläne, schlechte oder gute
Bausubstanz, Häuser mit geringer oder gesunder
Rendite. Bewohner sind in diesem Zusammenhang
nichts anderes als Hindernisse, die die Stadtsanierung stören.
Sie erscheinen als passive Wesen, über die man bestimmt,
die man verwaltet, mit denen man macht.
Man operiert mit ihnen als Zahlen, in Tausenden.
So gesehen drücken die Begriffe das
reale Verhältnis in Sanierungspolitik und -praxis aus.
Es ist ein Gewaltverhältnis.
Ihr setzte Hämer seine "Zwölf Grundsätze" entgegen, deren erster die waltende Praxis umsturzartig auf den Kopf stellte: "Die Erneuerung muss an den Bedürfnissen der jetzigen Bewohner orientiert und mit ihnen geplant und realisiert werden. Gleiches gilt für die gewerblichen Nutzer: Die Bausubstanz soll im Grundsatz erhalten bleiben." Eingeschrieben war dieser Zielsetzung ein neues Verständnis von Stadt.
Hämers ganz spezielle, neuartige Herangehensweise kam in einer bezeichnenden Wortschöpfung zum Ausdruck. Er versah den technokratischen Begriff Stadterneuerung mit dem Attribut "behutsam". "Behutsame Stadterneuerung" – das hieß lange vor der Institutionalisierung der "Bürgerbeteiligung" im Baugesetzbuch, dass über den Umbau von Stadtquartieren nicht über die Köpfe der Wohnbevölkerung hinweg entschieden werden sollte, sondern nur nach Erforschung der Bedürfnisse und finanziellen Möglichkeiten jedes einzelnen Mieters. (Die Welt vom 13.04.2012)
Die Mieten explodierten dennoch nicht. Die IBA-Alt war das Gegenstück zur heutigen Gentrifizierung. „Wir haben mit den Bewohnern und nicht gegen diese gearbeitet“, fasste Hämer einmal seine Methode zusammen. (taz vom 12.04.2012)
Hämer wies 1969 anhand dreier Häuser in der Putbusser Straße im Wedding nach, dass es auch anders geht: Die Altbauten zu modernisieren ist möglich und entspricht auch den Wünschen der Bewohner, die bis dahin nie ernsthaft gefragt worden waren. Obendrein ist es auch noch kostengünstiger als Abriss und Neubau. Dieses Ergebnis passte dem Senat und der allmächtigen Neuen Heimat [heute GEWOBAG] allerdings gar nicht ins Konzept. Hämer bekam fortan keine öffentlichen Aufträge mehr. (Berliner Mieterverein "Buch-Tipp - Der polternde Unruhestifter")
Zum Vergleich die heutige Selbstdarstellung der GEWOBAG:
Historisches bewahren
Seit Jahrzehnten ist die GEWOBAG Expertin für die Sanierung denkmalgeschützter Altbauten. Mit dem zeitgemässen Umbau von Wohnungen kennt sich das Unternehmen ebenso aus wie mit der Pflege von Stuckfassaden.Träger behutsamer Erneuerung
Die Berliner Stadterneuerung nach dem Zweiten Weltkrieg verlief turbulent. In den 1960er-Jahren versuchte das Land durch Kahlschlagsanierungen und große Neubauprojekte modernen Wohnraum zu schaffen. Dafür wurden ganze Straßenzüge abgerissen und historisch Gewachsenes zerstört. Die Altbausanierung wurde vernachlässigt.
In den 1970er-Jahren gab es vor allen Dingen in Kreuzberg massive Proteste gegen diese Philosophie. Hausbesetzungen waren an der Tagesordnung. Die Proteste führten zu einem Umdenken, das sich 1983 in den „Zwölf Grundsätzen der behutsamen Stadterneuerung“ niederschlug. Die Stadt setzte nun verstärkt auf die Instandsetzung von Altbauten bei der technische und soziale Bedürfnisse gleichermaßen berücksichtigt werden sollten.
Von diesen Prinzipien profitierte auch der denkmalgeschützte Chamissoplatz, für den das Land Berlin die GEWOBAG bereits im Jahr 1972 als Sanierungsträger eingesetzt hatte.
(aus dem GEWOBAG-Kundenmagazin "berlinerleben" Ausgabe 1/2012)
Soweit die schönen Worte. Wie die Einstellung damals aussah und was alles an "Mieterverachtung" tatsächlich passierte, hat sich herausgestellt. Und wie sieht es letztlich heute aus?
Zuerst noch einige reale Erfahrungen von Mietern aus der Sanierungsgeschichte. Eine Mieterinitiative vom Klausenerplatz hatte zwei Beispiele recherchiert und ausführlich dokumentiert: zum einen den einmaligen Supercoup, Gründerzeit-Altbauten nach dem §17 II WoBauG zu sanieren und anschließend zu Neubauten im Sozialen Wohnungsbau zu erklären und so nebenbei in dem ganzen staubig-dunklen Sanierungsgeschehen, offensichtlich noch falsche, überhöhte, Bauabrechnungen abzukassieren.
Mieter und engagierte Architekten stören halt. Damals und heute! Damit sie endlich
aus dem Kiez verschwinden, kann man dem einen keine Aufträge mehr
erteilen und den anderen Terror bereiten: möglichst viel Staub und Lärm
machen, Mieten hochtreiben, und natürlich lügen, lügen, lügen ......
Hören Sie dazu unbedingt das Interview mit Hardt-Waltherr Hämer bei der
Der Terror ist zurückgekehrt. Das ist die Realität. An allen Ecken und Enden Berlins leiden Mieter. Eine neue Mieterbewegung ist entstanden und versucht, sich stadtweit zu wehren. Die "ehrenwerte Gesellschaft" hat sich auf der anderen Seite formiert und predigt ihr Credo. Damals wollte man Altbauten abreißen und heute Häuser, die gerade mal 20 Jahre alt sind. Wie am Beispiel Wilhelmstraße gerade zu verfolgen ist, lungern die Günstlinge, Handlanger, Profiteure und Helfershelfer wieder um die Hausecken. Die Entmieter stehen mit der von ihnen angebotenen "Dienstleistung" bei Fuß, um die Häuser zu "entleeren" und die sich wehrenden Mietergemeinschaften zu spalten.
Die GEWOBAG zieht hier bei uns im Kiez die nächste Nummer durch. Von Bürgerbeteiligung, wo auch immer in der Stadt, keine Spur. Beteiligung der Mieter und Mitbestimmung sind unerwünscht. Kein Interesse an ihren Wünschen, Bedürfnissen und Möglichkeiten. Von Hämers Forderungen, nicht über die Köpfe der Wohnbevölkerung hinweg zu entscheiden, sondern nur nach Erforschung der Bedürfnisse und finanziellen Möglichkeiten jedes einzelnen Mieters, ist keine Rede mehr. Kein Gedanke mit den Bewohnern zu arbeiten, aber mit all ihrer letztlich armseligen "Allmächtigkeit" gegen sie. Die Zeit ist günstig, um mal wieder gewinnträchtig "aufzuräumen".
In einem aktuellen Modernisierungsfall bei uns im Kiez, werden tatsächlich die alten Geschichten von den "verfaulten Holzbalken" aus der Schublade geholt. Diese Angelegenheit befindet sich nach unserem letzten Informationsstand noch mit Gutachten und Gegengutachten in der rechtlichen Prüfung. Immerhin haben sie es schon geschafft, entgegen vollmundiger Ankündigungen von Sanierung im "bewohnten Zustand", bis auf eine sich "penetrant" wehrende Mietpartei das Haus "leergefegt" zu bekommen.
Zum Glück gibt es auch heute noch immer mal wieder Architekten, die den Mietern deutlich über Sinn und Unsinn der Modernisierungsmaßnahmen berichten. Sie machen es leider nicht in der Öffentlichkeit. Das muß man akzeptieren und auf jeden Fall respektieren. Immerhin erfährt man dabei etwas über die Hintergründe und das Vorgehen aus fachlicher Sicht und das hat einen erheblichen Wert.
Hardt-Waltherr Hämer war eben ein Architekt von einmaligem Kaliber und ein Mensch von einem ganz besonderen
Format - als Architekt bereit, die Konsequenzen zu tragen, als Mensch
mit Mut und Zivilcourage jederzeit eindeutig und öffentlich bereit, sich
auf die Seite der Mieter zu stellen. So wird er umso mehr fehlen, da
solche Menschen leider nicht gerade massenhaft in Erscheinung treten.
Schon gar nicht in den Reihen von Politik und Wohnungsunternehmen.
- Geschichte, Menschen im Kiez - 30. September 2012 - 00:02
Tags: architekt/gentrifizierung/mieten/modernisierung/sanierung/stadtplanung/wohnen
vier Kommentare
Nr. 4, neu, 04.10.2012 - 11:31 hier die einladung des kiezbündnisses in etwas offiziellerer form: http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w.. |
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Ein guter und informativer Bericht!Menschen geraten oftmals so schnell ins Vergessen, insbesondere, wenn ihr Wirken altruistisch und nonkonformistisch ist/war.Carl-Thomas Wiese