Wie soll es mit den Bezirksbibliotheken weitergehen? - Teil 5
Im Mai 2013 erschien mit neun Monaten Verspätung der Bibliotheksentwicklungsplan, mit dem Stadtrat und Bundestagskandidat der CDU Gröhler sich für eine bezirkliche Zentralbibliothek einsetzt; kurz darauf zog Anfang Juni ein Kommentar das Fazit: „Die BVV sollte ihm in den Arm fallen.“ Hat sie das bisher getan? Was haben die dort ansässigen Parteien bisher überhaupt getan, soweit es der Bürger und Büchereibenutzer erfahren durfte?
Da gab es zunächst eine Große Anfrage von SPD/Grüner Partei/Piratenpartei (DS 0640/4), die auf der Juni-BVV (13.6.) beantwortet wurde und die nur eine Frage mit Bezug auf eine Zentralbibliothek enthielt:
„3. Wie müssen sich der Personalstand und der Personaletat verändern, um in einer Zentralbibliothek, die in einem Einkaufszentrum [gemeint: Wilmersdorfer Arcarden] verortet ist, die gleichen Öffnungszeiten zu gewährleisten, wie die umliegenden Geschäfte?“
Das ist nicht gerade eine kritische Frage zu Herrn Gröhlers Bestrebungen. Alarmierend ist jedoch seine Antwort: Mindestens mehr als 15 Stellen, bei optimalen Bedingungen. Und das, wo der Bibliotheksentwicklungsplan (S. 11) für die augenblicklichen sieben Bibliotheken 15 Bibliothekare und 13 Assistenten als erforderlich ansieht: Wie soll da neben einer solchen Zentralbibliothek noch eine nennenswerte Anzahl von weiteren Bibliotheken übrigbleiben? Von den fünf Parteien der BVV war dazu noch nichts öffentlich zu hören. (1)
Wenige Tage später, am 18.6., traf sich der Kulturausschuß zu einer Sitzung, auf deren Tagesordnung (TOP 4) zwar der Bibliotheksentwicklungsplan stand - aber es gibt kein Protokoll dazu, was auch kein Wunder ist, denn der Verlauf war zu peinlich: Es gab keine eigenständige Auseinandersetzung unter den Bezirksverordneten (unter Herrn Gröhlers Augen mit seinem vierköpfigen Gefolge, je zwei zu seinen Seiten plaziert), vielmehr nur ein müdes Nachgeplänkel zur BVV-Sitzung der vorhergehenden Woche à la „Was ich noch sagen wollte …“ – stattdessen verhinderten sie aktiv die notwendige Diskussion, indem sie einen Gastredebeitrag von vier Minuten Dauer gleich dreimal unterbrachen und kurz darauf per Geschäftsordnungsantrag den Tagesordnungspunkt beendeten. Um hier Wiederholungen zu vermeiden: in Kommentar Nr. 1 lassen sich die Einzelheiten nachlesen.
Und dann hatte der Kulturausschuß vor ein paar Tagen, am 4.9., eine weitere Sitzung. Laut Tagesordnung beschäftigte man sich mit der Einrichtung eines Bibliotheksbeirats und der weiteren finanziellen Austrocknung der Bibliotheken im Bildungsbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf – beides wichtige Punkte, insbesondere weil dieser Bezirk mit Abstand am wenigsten für die Ausstattung seiner Bibliotheken tut. Aber die Beschäftigung mit dem Bibliotheksentwicklungsplan selbst hatte die Vorsitzende auf die Tagesordnung zu setzen vergessen.
Die zentralen Auswirkungen einer Zentralbibliothek
Über Herrn Gröhlers Zentralbibliothekspläne ist für jeden, der lesen kann, jetzt schon klar:
-
sie führen zur Beseitigung anderer
Bezirksbibliotheken (siehe oben), von denen Herr Gröhler doch selbst
sagt, daß sie attraktiv sind (Juni 2013, 9. Einwohnerfrage,
Antwort zu 1./2.);
- sie sind unsozial, wie Herr Gröhler selbst weiß
und sagt: „Insbesondere kann nicht vorhergesagt
werden, ob sich z.B. bei Schließung/Verlagerung eines Standorts der
gesamte Besucherstamm auf die anderen Bibliotheken bzw. den neuen
Standort verlagert." (Bibliotheksentwicklungsplan, S.15) Vorhersagen
läßt sich schon jetzt ganz sicher, daß kleine Kinder, Grundschüler und
Senioren nicht folgen werden, wenn die Bibliothek am Wohnort weg bzw.
auf „Grundbedarf" reduziert ist;
- sie sind ein finanzielles Vabanquespiel, wie Herr Gröhler ebenfalls weiß und sagt: „Jedoch kann nicht prognostiziert werden, welche Auswirkungen auf die Kosten-Leistungs-Rechnung durch Standortveränderungen zu erwarten sind." (ebenda) Genauso wie bei seiner Beseitigung des Rathauses Wilmersdorf (siehe Absatz bei Fußnote 4).
Wie stehen also die fünf Parteien zu der Idee, etwas,
was attraktiv ist, zu zerstören aufkosten selbst erkannter finanzieller
Unabwägbarkeiten und ungünstiger sozialer Folgen?
Wie die fünf Parteien dazu stehen
Schon zweimal sind sie zu einer Antwort aufgefordert worden, das erste Mal durch Herrn Gröhler selbst, als er in seiner Erwiderung auf die oben erwähnte erste Großen Anfrage in der Vorbemerkung schrieb:
„Wir [das Bezirksamt] haben einfach mal geschaut, wie sehen so die Grundlagen ihrer Mitarbeit als Teil der Verwaltung aus und da heißt es ja, dass sie die wesentlichen Leitlinien oder Grundlinien der bezirklichen Politik mitbestimmen. Und die Frage, möchte man eine Bezirkszentralbibliothek oder möchte man sie nicht und die Frage, wie viel Bibliotheken will sich auf Dauer der Bezirk mit welchem Ausstattungsstandard leisten ist natürlich eine Frage, die das Bezirksamt nicht alleine entscheiden kann und will. […] Sie sollen an der Stelle schon die Möglichkeit aktiv haben, Kommunalpolitik mitgestalten zu können.“ (in der Rechtschreibung des Bezirksamtes)
Die zweite Aufforderung befand sich in der 6.
Einwohnerfrage an die fünf BVV-Parteien (15.8.2013):
„Wie stehen Sie zu den Bibliothekszentralisierungsplänen des Stadtrats (mit den entsprechenden negativen Folgen für die existierenden Bibliotheken)?“
Auch nach Ablauf von nunmehr fast vier Wochen (= Verstoß gegen die
Geschäftsordnung) hat bisher nur eine Partei (SPD) geantwortet: Ihre Antwort drückt immerhin Zurückhaltung
gegenüber der Idee einer Zentralbibliothek aus und stellt auf jeden Fall
eine deutliche Verbesserung gegenüber der Äußerung des
Fraktionsvorsitzenden am 18.6. im Kulturausschuß dar, wo er sagte, die
SPD würde eine Zentralbibliothek schlucken, wenn der Stadtrat einen ganz
tollen Ort fände. Jetzt werden jedenfalls Gesichtspunkte wie
wohnortnahe Bibliotheksversorgung, frühzeitiges Heranführen ans
Lesen/Vorlesenachmittage allerorten und Abhängigwerdung von den
Mietpreisen ins Gespräch gebracht.
Die anderen Parteien führen lieber eine „Debatte“ auf der der
Öffentlichkeit weitgehend unbekannten Seite „Thema des Monats“ (Sept. 2013) unter der Überschrift „Der
Bibliotheksentwicklungsplan: Motor oder Makulatur?“
Demnach ist der Standpunkt der CDU, eine Bibliothek habe „nach den
Erkenntnissen der modernen Bibliothekswissenschaft“ großräumig zu sein
und ein kleines Café zu haben. Das läßt nichts Gutes ahnen,
insbesondere, da man ausdrücklich nicht vorhat, sich an den
tatsächlichen Wünschen der Benutzer zu orientieren: Herr Gröhler, der
möglicherweise kommende Volksvertreter „für Charlottenburg-Wilmersdorf
im Bundestag“, hat eine Befragung der Benutzer ausdrücklich abgelehnt
(17. Einwohnerfrage) (2). Wird die CDU in ihrer ausstehenden Antwort auf
die Einwohnerfrage das noch präzisieren?
Die Grüne Partei stellt fest, daß alles schwierig sei und man ein
Gremium aus Experten und „NutzerInnen“ brauche, um Entscheidungen zu
treffen (daher auch oben der Antrag mit dem Bibliotheksbeirat im
Kulturausschuß vom 4.9.). Eine eigene Position zur Zentralbibliothek
wird hier noch nicht einmal auch nur angedeutet. Hoffentlich geschieht
das dann aber alsbald in der ausstehenden Antwort auf die
Einwohnerfrage.
In der Stellungnahme der Piratenpartei wird zur recht auf das fehlende
und dringend benötigte Bibliothekengesetz, das diese Einrichtungen zu
einer Pflichtaufgabe des Staates macht, hingewiesen. Aber zu der
angestrebten Zentralbibliothek, um die es im Bibliotheksentwicklungsplan
doch erkennbar geht, gibt es auch hier keine klare Position (bzw. eine
sehr zweideutige). Ob eine klare Aussage in der ausstehenden Antwort auf
die Einwohnerfrage nachgeholt wird?
Die Linkspartei spricht sich deutlich für „weiterhin kieznahe Standorte,
die auch sehr jungen, älteren und bewegungseingeschränkten Menschen
entgegenkommen“ aus und gegen eine Vorherrschaft des
Kosten-Leistungs-Denkens und begründet dies mit der Rolle der Büchereien
als wichtige Bildungs- und Kultureinrichtungen.
Das ist überwiegend ein eher peinliches Bild von der
BVV und ihren Parteien: so viel Herumdruckserei statt klarer Aussagen.
Die vier Parteien, die die Einwohnerfrage immer noch nicht beantwortet
haben, werden daher dringend ersucht, ihre Standpunkte den
Büchereibenutzern bekanntzumachen, ohne sich allzu sehr hinter dem
Stadtrat und seinen Planungszahlen zu verstecken und sich von ihnen – oh
Sachzwang! – abhängig zu machen.
MichaelR
(1) Eine weitere Große Anfrage derselben Parteien auf derselben BVV-Sitzung (DS 0641/4) enthält nichts zum Thema Zentralbibliothek.
(2) Gerne lobte sich Herr Gröhler selbst – im Endspurt des
Bundestagswahlkampfes – am 31.8. auf der Abschlußveranstaltung zum
Bürgerwettbewerb „Mitmachen bei der Dauerausstellung ‚Von der Residenz
zur City West‘“ für sein „kleines Experiment der Einbeziehung der
Bürger“, und eine Preisträgerin freute sich von Herzen, daß der Herr
Stadtrat „den Bürgern Gehör geschenkt“ habe. Das ist doch ausbaufähig im
Hinblick auf die Stadtbüchereien.
Bisher veröffentlicht:
* Teil 1 (März 2012)
* Teil 2 (Juni 2012)
* Teil 3 (Oktober 2012)
* Teil 4 (Juni 2013)
MichaelR - Gastautoren, Politik - 08. September 2013 - 22:14
Tags: bibliothek/stadtteilbibliothek/zentralbibliothek
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Antworten weiterer Parteien auf die 6. Bürgerfrage (s. o.: "Wie die fünf Parteien …") sind mit großer zeitlicher Verzögerung eingetroffen:
CDU – tritt letztlich für eine Beseitigung aller Bibliotheken neben einer Zentralbibliothek ein – es sei denn, es finden sich kostenlose Arbeitskräfte (gern "Ehrenamtliche" genannt), um sie irgendwie (im Sinne von Herrn Gröhlers "Grundbedarf"?) weiterzuführen.
Grüne Partei – hat auch ganz offiziell keine Antwort auf die Frage. Gibt es in dieser Partei denn niemanden, der eine öffentliche Bibliothek benutzt?
Piratenpartei – sieht eine "Zentralbibliothek zu Lasten dezentraler Bibliotheksstandorte kritisch" – das ist immerhin etwas, aber so richtig klar auch nicht.
Linkspartei – die Antwort fehlt hier immer noch; in einer Email an den Verf. wird die Idee einer Zentralbibliothek jedoch nicht für gut gehalten, "sondern für eine, die vielleicht auf dem grünen Tisch einer Buchhaltungsabteilung nett aussieht, aber in der Realität wenig taugt und vor allem den Nutzenden nicht entgegen kommt".