Zwangsarbeiter in der Wilhelmsaue: Wird das Bezirksamt (SPD, CDU) Verantwortung übernehmen?
Vorbereitung auf die Sitzung der Gedenktafelkommission am 16. Februar um 16 Uhr im Rathaus Charlottenburg
Bekanntlich hat die Erinnerung an die Zwangsarbeiter im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf – genauer: die Erinnerung an die Zwangsarbeiter des Bezirksamtes Wilmersdorf – seit Februar letzten Jahres fünf Drehs erhalten, mit dem Ergebnis, daß sie im Oktober wieder beim Bezirksamt ankam. Dort verharrte sie anschließend weitere vier Monate – und jetzt, ein ganzes Jahr nach dem ersten Dreh, wird sie am 16. Februar in der Gedenktafelkommission (GTK) wieder auf der Tagesordnung sein.
Wie wird es ihr diesmal ergehen?
Jedenfalls haben alle damit befaßten bezirklichen Behörden und Gremien – der Bezirksbürgermeister, das Kulturamt und die GTK – bisher vor der Öffentlichkeit mit ihren Plänen und Absichten hinterm Berg gehalten: der Bürgermeister (SPD), indem er noch nicht die Einwohnerfrage 4 beantwortet hat; die Leiterin des Kulturamts erwidert nichts auf die Frage nach Ergebnissen einer von ihr veranlaßten Recherche; und die Vorsitzende der GTK (CDU) bestätigt nicht einmal Termin und Tagesordnung für den Februar. Wir wissen daher nicht, ob das Bezirksamt nun bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und selbst für ein Gedenken an die von seinen Vorgängern ausgebeuteten Zwangsarbeiter zu sorgen.
Immerhin hat Bürgermeister Naumann wissen lassen (Email vom 16.11.2015 an den Verf.),
daß es „notwendig“ und sogar „überfällig“ sei, daß dieser Bezirk die Zwangsarbeiterlager „zum Gegenstand seiner Gedenkarbeit“ mache.
Und am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, sagte Bundestagspräsident Lammert (CDU) in der offiziellen Feierstunde:
„Meine Damen und Herren, wir gedenken heute der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. […] Wir gedenken der Kriegsgefangenen und Deserteure, der ungezählten zivilen Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in ganz Europa und wir gedenken in diesem Jahr insbesondere auch der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.“
Das sind erst einmal nur Worte, denen bisher hier im Bezirk ein ganzes Jahr Tatenlosigkeit gegenübersteht. Aber vielleicht hat ja jemand im Bezirksamt vor ein paar Tagen den Bericht über Paulina Bozyk gelesen, die als eine von 80 jungen Polen an der Feierstunde im Bundestag teilnahm und deren Urgroßvater zu den in Groß-Berlin ausgebeuteten Zwangsarbeitern gehörte – erschienen unter dem Titel „Zwangsarbeit in der NS-Zeit: Die Schatten der Geschichte“. Sie sagte:
„Ohne Orte, an denen die Geschichte sichtbar wird, geht die Erinnerung verloren.“
Es bleibt zu hoffen, daß der Bezirksbürgermeister nunmehr am 16. Februar im Namen des Bezirksamtes nicht nur die Verantwortung für die Erinnerung an die Zwangsarbeiter im Dienste seiner Vorgänger übernehmen wird, sondern daß das Bezirksamt zu diesem Zweck auch sogleich tätig wird am Ort des ehemaligen Bezirksamts-Lagers in Wilhelmsaue 40. Daß also Bezirksamt und Bezirksbürgermeister endlich einen Ort der Erinnerung schaffen statt sich noch länger hinter die bisher vorgebrachten Bedenken wegzuducken, die kurz Revue passieren sollen:
Die gesammelten Bedenken gegen ein Gedenken an die Zwangsarbeiter des Bezirksamtes Wilmersdorf am Haus Wilhelmsaue 40
Hier die vollständige Auflistung aller bisher bekanntgewordenen Bedenken samt kurzen Erwiderungen (ausführlichere Antworten findet man über die Links):
1) Nur eine einzige Notiz/Zettel/kleines Zettelchen weist auf dieses Lager in Wilhelmsaue 40.
Tatsächlich handelt es sich um ein mit Stempel und Unterschrift versehenes behördliches Schreiben im Format DIN A 4 (*). Sollte man nicht froh sein, daß es wenigstens diesen einen Beleg gibt?
2) Hausnummer 40 gab es offiziell gar nicht, sondern nur 39/41.
Im Landesarchiv gibt es weitere behördliche Dokumente, die diesem Grundstück mal die Hausnummer 40, mal 39/40, mal 39-41 geben. Heutzutage trägt das Gebäude (ITDZ Berlin) wieder die Nummer 40.
3) War die Bezirksverwaltung damals überhaupt berechtigt, ein eigenes Arbeits-, Fremd- oder Zwangsarbeiterlager zu betreiben?
Ja, solche BA-Lager gab es übrigens auch in anderen Bezirken, z.B. in Charlottenburg in der heutigen Nithackstraße 8-10.
4) Die Notiz/Zettel/kleines Zettelchen ist nur ein Indiz für ein Lager, aber nicht für ein Zwangsarbeiterlager.
Das stimmt, aber wer behauptet das? Der Charakter als Zwangsarbeitslager ergibt sich stattdessen u.a. aus der Tatsache, daß dort Polen gemeldet waren, die bekanntlich als Zwangsarbeiter ins Reich geholt wurden.
5) Die Fremdarbeiter des Bezirksamtes hatten doch Urlaub …
Urlaub gab es nur für Holländer in den Jahren 1940/41. Spätestens ab Mitte 1942 wurden auch sie nur noch als Zwangsarbeiter (und ohne Urlaubsanspruch) ins Reich geholt. (4.b)
6) … und freie Arztwahl!
Das war bei kleinen Zwangsarbeiterlagern nun einmal so üblich. Im übrigen gab es auch keinen Zaun um oder Wachposten vor kleinen Zwangsarbeiterlagern, und sie hießen in der NS-Sprache auch nicht „Zwangsarbeiterlager“. (1.-3.)
7) Sagen auch andere Historiker, daß das ein Zwangsarbeitslager war?
Ja; drei weitere Aussagen von Historikern (davon zwei mit Doktortitel – ist das genug Autorität?) lagen der GTK in der Sitzung vom September 2015 schriftlich oder mündlich vor (4. Dreh), wurden aber im offiziellen Protokoll unterschlagen.
8) Wir wissen erst wenig über Zwangsarbeit in Wilmersdorf und Charlottenburg, daher ist es mit einem Gedenken noch zu früh.
Wird die Erinnerung an die Zwangsarbeiter des Bezirksamtes also weiterhin auf sich warten lassen?
Auch wenn es noch viel zur Zwangsarbeit in unserem Bezirk zu erforschen gibt – fest steht jedenfalls, daß sich in Wilhelmsaue 40 ein Zwangsarbeiterlager des Bezirksamtes Wilmersdorf befand. Es liegt nun an Bezirksbürgermeister und Bezirksamt, sich politisch zu entscheiden: Wollen sie die bereits widerlegten Bedenken dafür benutzen, um das konkrete Erinnern an die Taten ihrer Amtsvorgänger weiterhin auf die lange Bank zu schieben? – oder wollen sie zu ihrer eigenen Geschichte stehen und deren Opfer endlich nach 70 Jahren mit einem Erinnern am Ort des Geschehens ehren? – ganz im Sinne der 18jährigen Urenkelin eines polnischen Zwangsarbeiter, die, wie schon erwähnt, feststellte:
„Ohne Orte, an denen die Geschichte sichtbar wird, geht die Erinnerung verloren.“
MichaelR
Der Artikel wurde weitergeleitet an den Bezirksbürgermeister und die weiteren Mitglieder des Bezirksamtes sowie die Mitglieder der Gedenktafelkommission und an die Presse.
(*) „Ärztliche Versorgung der Ausländerarbeitslager“ [Jahreswechsel 1942/43]: Landesarchiv Berlin C Rep. 375-01-08 Nr. 7818/A 06; dort: Bericht des Gesundheitsamtes Berlin-Wilmersdorf vom 30.11.1942; Abschrift des Eintrags hier: 2. Bild.
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 05. Februar 2016 - 00:02
Tags: gedenken/nationalsozialismus/stadtgeschichte/zwangsarbeit
zwei Kommentare
Nr. 2, jn, 17.02.2016 - 19:04 Bis zum 26.2.Ausstellung zur Zwangsarbeit im Paul-Löbe-Haus http://www.bundestag.de/dokumente/textar.. |
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Die “Gedenktafelkommission”-ein mehr als “bedenkliches” Gremium
http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w..
nach jahrelangem kampf endlich dem bürger (als einzige kommission und beirat im bezirk !!!)öffentlich, entzieht diese sich doch weitgehend der auseinandersetzung
mann/frau haben den eindruck, alles sei bereits bereits zwischen den parteien abgesprochen.
zwar waren formal am 16.2.(fast)alle mitglieder anwesend,doch verabschiedete sich bereits nach einer viertel stunde der älteste der runde (88!)krankheitsbedingt,redete anschließende aus der kommission nur noch ein mitglied,die vertreterin der spd.Deren meinung die cdu sich einfach mal “hingab”.
ansonsten schweigen
In der realität übernahmen die “fachbürger” handlung und wort, von der vorsitzenden obrigkeitlich,autoritär – ganz nach der GO – gesteuert.
zu beginn bekannte der herbei zitierte bürgermeister sein engagement gegen das ns regime und für das gedenken der schuld.
wie das im fall der kommunalen zwangsarbeiterlager konkret im bezirk – ob nun von BA oder von BVV bleibt sich letzlich gleich -stattfinden soll, blieb im dunkeln.nach einer langen halben stunde war er auch schon wieder weg.
stattdessen das ewigkeitsmantra von dem vortragenden historiker: der nicht ausreichenden beweise, das gehacke ob wilhelmsaue 39,40 oder 41 der korrekte ort war, ob es sich um ein bezirks- oder nur um ein städtisches zwangsarbeiterlager handelte.Können historiker auch politisch denken ? manchmal anscheinend nicht und somit von den parteien genüßlich mißbraucht
die strategie war anschaubar: verbal fördern und in realiter verzögern, bis die zeit (achtung neuwahlen )es verhindert und obsolet macht.
jetzt soll die WAST ran
https://www.dd-wast.de/de/startseite.html
...für den letzten,endgültigen beweis
das kann lange dauern
es sei denn…der druck wird im wahlkampf noch mächtig erhöht