Straßen und Plätze: Badeanstalt am Kochsee
Zu den verschwundenen Orten in Charlottenburg gehört auch der Kochsee mit seiner Badeanstalt.
In Charlottenburg bestand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein spürbarer Mangel an Bademöglichkeiten (1), zumal in Preußen das Baden in Flüssen und Seen außerhalb von Badeanstalten bis 1907 verboten war. Auch hatte manch Badeanstalt wieder schließen müssen, wie zum Beispiel Mitte der 1870er Jahre das Freibad in „Roberts Park“ aufgrund der schlechten Wasserqualität (Schwarzer Graben!, siehe Bild 5) an seinem Standort im „Nassen Dreieck“ zwischen Fritsche-, Zille- und Hebbelstraße (2). Das Volksbad in der Krummen Straße schließlich wurde erst 1898 fertiggestellt. Das ließ es den Unternehmer Wilhelm Görgs lukrativ erscheinen, 1886 am Nordende der Sophie-Charlotten-Straße ein Freibad unter Einbeziehung eines Altarms der Spree, des Kochsees, anzulegen, und zwar „mit Unterstützung der Stadtgemeinde“ Charlottenburg (3). Es war zu seiner Zeit das einzige Charlottenburger Freibad und bis zur Eröffnung der Krummen Straße überhaupt die einzige öffentliche Bademöglichkeit in Charlottenburg.
Die Görgs‘sche Badeanstalt (4) bestand aus einem 100m-Becken, zwei Nichtschwimmerbecken, über hundert Umkleidekabinen und einem Luftbad für Herren sowie, speziell für Damen, aus einem 50m-Becken und einem Nichtschwimmerbecken. Dort fanden – neben dem alltäglichen Badebetrieb mit bis zu 3000 Besuchern an heißen Sommertagen – eine Vielzahl von Veranstaltungen statt: fünf Deutsche Schwimmmeisterschaften zwischen 1890 und 1905, internationale Schwimmfeste und der Kochsee-Pokal – und am 20. Juni 1904 schwamm der Charlottenburger Walter Brack dort gar einen Weltrekord über 100 m Rücken in 1:29,0 min (5).
Die Badeanstalt wurde auch von verschiedenen Schwimmvereinen zum Training benutzt: dem „Charlottenburger Schwimmverein von 1887“, dem Damen-Schwimmverein „Nixe“ von 1893 und der „Arminia“ von 1897. (6) Besonders interessant ist die Geschichte des heute noch existierenden Frauenschwimmvereins, der mit Unterstützung der Frau des Badeanstaltbesitzers gegründet wurde und ein Vorkämpfer für den Frauenschwimmsport war; dazu gehörten auch die ersten Schwimmwettkämpfe für Frauen.
Mit all dem hatte es ein Ende, nachdem Görgs das gesamte Gelände 1909 gewinnbringend an die Reichsbahn verkauft hatte und der See schließlich im September 1911 trotz vieler Proteste zugeschüttet wurde. Aus der Verlängerung der Sophie-Charlotten-Straße parallel zum Bahndamm bis zum Tegeler Weg wurde dann aber doch nichts, und heutzutage befinden sich an Ort und Stelle Lagerschuppen als Überreste eines Güterbahnhofs.
Mit dem Baden im Freien sah es für die Charlottenburger in der Folgezeit schlecht aus; so konnte zu Recht ein Stadtverordneter in der Sitzung vom 30. Mai 1911 klagen, die Gemeinde mit dem höchsten Pro-Kopf-Steuereinkommen im Deutschen Reich „ist hinten in die Reihe der kleinen Landstädte gerückt, wo die Bewohner Gelegenheit zum Baden in freier Luft nicht mehr haben. Alle umliegenden Ortschaften haben diese Gelegenheit: in Wilmersdorf kann man im See baden [...] – nur Charlottenburg ist [...] um diese Gelegenheit zum Baden gekommen“. (7) Es dauerte noch bis 1927, als endlich das Freibad im Volkspark Jungfernheide fertig war.
MichaelR
Abbildungsnachweis:
Bild 1: Benutzung mit freundlicher Genehmigung von blocksignal.de.
Bild 2: OpenStreetMap - © OpenStreetMap-Mitwirkende (CC BY-SA)
Bild 3: Zeno.org - Zille, Heinrich: Freibad, Charlottenburg – Kochsee
Bild 4: Internationales Schwimmfest im Kochsee zu Charlottenburg. Spezial-Aufnahmen von Max Mittmann (1907/08) für „Berliner Leben. Zeitschrift für Schönheit und Kultur“, 1908, S. 123. Digitalisiert durch die Zentral- und Landesbibliothek Berlin.
Bild 5: Otto Haeckel, Schwimmfest am Kochsee, Berlin 1910, Stiftung Stadtmuseum Berlin, Inv.nr. IV 91/412 V. Benutzung mit freundlicher Genehmigung der Stiftung Stadtmuseum Berlin
Literatur:
- Berliner Leben. Zeitschrift für Schönheit und Kultur, 1908
- Bräuer, Ute-Maria/Jost Lehne, Bäderbau in Berlin. Architektonische Wasserwelten von 1800 bis heute, Berlin (Lukas-Verlag) 2013
- Gundlach, Wilhelm, Geschichte der Stadt Charlottenburg. Im Auftrag des Magistrats bearbeitet, Erster Band: Darstellung, Berlin (Julius Springer) 1905
- Inzuam, Das Freibad am Fürstenbrunner Weg – Die Straßenbezeichnung „Fürstenbrunner Weg“ wurde in Charlottenburg einigermaßen unübersichtlich benutzt; vgl. diesen Überblick. Für den hier erwähnten Fürstenbrunner Weg bedeutet das: so hieß von 1857 bis zur Umbenennung in Sophie-Charlotten-Straße am 25.4.1885 ihr nördlicher Teil (der südliche Teil hatte vorher Schützenstraße geheißen wegen des Schützenhauses kurz vor dem Lietzensee).
- Wimmer, Clemens Alexander, Vom Waschen des Körpers mittels des Bades. Der lange Kampf um Badestellen in der Stadt Charlottenburg, in: Aufhebungen. Urbane Landschaftsarchitektur als Aufgabe, hg. v. Sören Schöbel, Berlin (Wissenschaftlicher Verlag) 2004, S. 139-147 (mit 5 Abb.)
(1) Zum Thema Baden und Hygiene siehe die einleitenden Absätze in „Das Freibad am Fürstenbrunner Weg“
(2) Ute-Maria Bräuer/Jost Lehne, Bäderbau in Berlin. Architektonische Wasserwelten von 1800 bis heute, Berlin (Lukas-Verlag) 2013, S. 77 (zu finden hier) und Clemens Alexander Wimmer, Vom Waschen des Körpers mittels des Bades. Der lange Kampf um Badestellen in der Stadt Charlottenburg, in: Aufhebungen. Urbane Landschaftsarchitektur als Aufgabe, hg. v. Sören Schöbel, Berlin (Wissenschaftlicher Verlag) 2004, S. 141f.
(3) Wilhelm Gundlach, Geschichte der Stadt Charlottenburg. Im Auftrag des Magistrats bearbeitet, Erster Band: Darstellung, Berlin (Julius Springer) 1905, S. 606 (zu finden hier: Seite „n676“)
(4) Die folgenden Informationen entstammen Bräuer/Lehne, S. 93f.
(5) Wikipedia - Aktueller Weltrekord auf 50-m-Bahn: Ryan Murphy/USA, 13.8.2016/Rio de Janeiro: 00:51,85 min
(6) siehe Anm. 4
(7) Wimmer, S. 144; dort auch weitere Ausführungen über die Schwierigkeiten, ein städtisches Freibad in Charlottenburg zu errichten (S. 144ff.)
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 15. November 2016 - 20:28
Tags: badeanstalt/plätze/see/stadtgeschichte/straßen
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