Straßen und Plätze: Wilhelmsaue Ecke Uhlandstraße – Zeitung und Druckerei
Mit dem Kriegsende 1945 war an der Einmündung der Uhlandstraße in die Wilhelmsaue auch Schluß mit einer im Westen Berlins vielgelesenen Zeitung, und seit 1969 erinnert nach dem autogerechten Ausbau der Uhlandstraße auch nichts mehr an ein großes Wilmersdorfer Verlags- und Druckhaus.
vorne Denkmal Kaiser Wilhelms I.) und
2017 (der Eingang zum Eckhaus war auf dem Mittelstreifen re. von den beiden Röhren)
Wilmersdorfer Zeitungen bis 1920
Schon Anfang der 1890er Jahre hatte Hans Heenemann (1874-1924) versucht, mit dem Wilmersdorfer Lokalanzeiger im dörflichen Wilmersdorf eine Zeitung zu gründen. Sie erschien zweimal wöchentlich, hatte 380 Abonnenten und wurde nach wenigen Monaten aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt.
Sein zweiter Anlauf war im Herbst 1901, kam aber zu spät, weil just in diesem Moment die erste Ausgabe der Wilmersdorfer Nachrichten erschien.
Abb. 4 - Wilmersdorfer Zeitung - 1905 bis 1912
Fünf Jahre später – Wilmersdorf hatte im April 1906 das Stadtrecht erhalten und hieß nun offiziell Deutsch-Wilmersdorf –, wurde H. Heenemann dann doch noch Zeitungsverleger, als ihm im September diesen Jahres die Übernahme der Wilmersdorfer Zeitung angeboten wurde, wie die Wilmersdorfer Nachrichten seit 1905* hießen.
Ab 1907 erschien die Wilmersdorfer Zeitung täglich und war amtliches Publikationsorgan u.a. der Wilmersdorfer Behörden (siehe Abb. 3). Ein Zeitzeuge aus den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg beschrieb sie als „rechtsstehende, unter allen bürgerlichen Kreisen des Berliner Westens und der westlichen Vororte“ – also von Schöneberg über Wilmersdorf bis Charlottenburg – „weitverbreitetste Tageszeitung“. Der sozialdemokratischen „Vorwärts“ sah in dem Blatt ein „sozialistentöterisches Organ“ und in H. Heenemann einen „forschen Kämpfer gegen die Sozialdemokratie“ (S. 17**). Das verstand sich von selbst von einem Mitglied der unternehmernahen Deutschen Volkspartei (DVP).
Von 1908 an entstand die Zeitung im eigenen Betrieb – Verlag und Druckerei – in der Uhlandstraße 102, einem Mietshaus mit Seitenflügel und Fabrikquergebäude. Anfangs lagen Redaktion und Geschäftsstelle im Laden des Vorderhauses, und gedruckt wurde in den vier Etagen des Quergebäudes – außer der Zeitung auch externe Druckaufträge u.a. der Wilmersdorfer Stadtverwaltung und v.a. der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte.
Als Wilmersdorf seinen Namen 1912 in Berlin-Wilmersdorf änderte, folgte Heenemann dem, indem er seine Zeitung in Berlin-Wilmersdorfer Zeitung umbenannte; zu dieser Zeit hatte das Familienunternehmen 40 Beschäftigte und die Zeitung 2.500 Abonnenten. Und als er 1918 Stadtrat für die DVP wurde, gab er den Posten des Chefredakteurs an Leonhard Elbel ab. Bei dieser Gelegenheit wurden die Grundsätze der Zeitung festgelegt, wozu auch „die Wahrung absoluter Unabhängigkeit und Objektivität allen bürgerlich-demokratischen Schattierungen gegenüber“ gehörte (S. 19).
Abb. 6 - Der Berliner Westen - 1920 bis 1933
1920 wurde Groß-Berlin geschaffen, mit Wilmersdorf als einen der Bezirke. Dies war erneut Anlaß, die Zeitung umzubenennen, bei gleichzeitiger Einverleibung einiger umliegender Lokalblätter; sie hieß jetzt Der Berliner Westen und erschien nunmehr in der Westlichen Berliner Verlagsgesellschaft (Uhlandstraße 101 und Wilhelmsaue 21-23). Die Druckerei firmierte als Buch- und Verlagsdruckerei Hans Heenemann (Uhlandstraße 102; hinzu kam 1924 ein Fabrikneubau in Wilhelmsaue 23). Jetzt waren auch die Nordöstliche Berufsgenossenschaft, der Internationale Transport-Versicherungs-Verband und der Berliner Zoo Kunden. Verlag und Druckerei zusammen beschäftigten Anfang der 1920er Jahre etwa 100 Arbeiter und Angestellte.
Abb. 8 - Luftaufnahme um 1935 (li. Wilhelmsaue, Mitte Neubau von 1924)
Trotz der täglich verkauften 30.000 Exemplare war aus dem vormals vorstädtischen Blatt jedoch keine Konkurrenz zu den großen innerstädtischen Zeitungen geworden: „Über eine bescheidene Lokalberichterstattung konnte man nicht kommen, alles andere musste von Korrespondenten sozusagen als redaktionelle Fertigware übernommen werden. Es konnte daher nur zweitklassig sein und der Aktualität hinterher hinken. Die geistigen Ansprüche bestimmter Leser in Wilmersdorf konnten befriedigt werden, dagegen nicht die der Leser in Charlottenburg, Friedenau oder Steglitz. Sie entschieden sich statt für den Westen eben für ihr entsprechendes Lokalblatt“, stellte später Heinrich Korth fest, ein naher Verwandter, ab 1932 Geschäftsführer (25) und Retter des Betriebes über Kriegs- und Nachkriegszeit.
1930 hatte Sohn Horst Heenemann (1906-1980) die Leitung des Unternehmens übernommen. Bereits einen Monat später legte der 1918 vom Firmengründer eingesetzte Verlagsdirektor und Chefredakteur L. Elbel wegen politischer Differenzen mit ihm sein Amt nieder: „Elbel hatte das Blatt in einem aufrechten bürgerlichen Fahrwasser gehalten. Der junge Heenemann wollte es im nationalsozialistischen Sinne führen, und so zog Elbel die Konsequenz und ging.“ (Der Berliner Herold, 18.10.1930 (43)).
Kurz vor Kriegsbeginn, um 1938, erschien die Zeitung, die seit 1933 schlicht Der Westen hieß, siebenmal die Woche; außerdem druckte man 27 Zeitschriften, davon einige im eigenen Verlag. Etwa 200 Mitarbeiter arbeiteten im Zwei- oder Dreischichtbetrieb für den Verlag und die Druckerei, die jetzt auch über eine vollautomatische Binderei mit einer Kapazität von monatlich 1 Million Zeitschriften und Broschüren verfügte.
Der Zweite Weltkrieg hatte Auswirkungen auf Zeitung, Beschäftigte und Gebäude, wenn auch auf letztere nicht in dem Ausmaß, wie es viele andere Betriebe der Verlags- und Druckbranche traf.
Die Zeitung erschien zunächst weiter, aber aufgrund der kurz nach Kriegsbeginn verfügten Papiereinsparung nur noch auf sechs Seiten. Im Herbst 1944, als die Niederlage sich zunehmend abzeichnete, verfügte die Regierung eine letzte von mehreren Zeitungsstillegungsaktionen, durch die Der Westen zu einer „Kriegsgemeinschaft“ mit drei weiteren Blättern der westlichen Bezirke verschmolzen wurde, die West-Berlin hieß und einen Umfang von täglich vier Seiten hatte (ab März 1945 nur noch zwei). Ihre letzte Ausgabe datierte vom 18.4.1945.
Der Krieg wirkte sich auch auf die Belegschaft aus. Durch Einberufungen verringerte sie sich im Laufe des Krieges zunehmend. Zwangsarbeiter aus u.a. Frankreich und Estland konnten das Fachpersonal nur schwer ersetzen. Trotzdem druckte der Betrieb auch 1943 noch vier Zeitungen und etliche Zeitschriften.
Die Gebäude scheinen am besten weggekommen zu sein: Zwar richteten Luftangriffe im Juli und November 1943 einige Schäden an und brannten am 16.2.1944 in der Maschinensetzerei zwei Stockwerke aus; aber als beim sehr schweren Angriff vom 3.2.1945 alle großen Druckereien in der Reichshauptstadt zerstört wurden, blieb dieser Betrieb verschont. Das vorrangige Druckerzeugnis waren jetzt Lebensmittelkarten. Zu Kriegsende war das Unternehmen eine der wenigen großen Druckereien der Reichshauptstadt, die noch in Betrieb waren.
Besatzungszeit und Wiedererstehen von Verlag und Druckerei
Das dicke Ende kam im Juni 1945, als die sowjetische Besatzungsmacht zunächst die Papierrollen abtransportierte und dann die komplette Maschinerie demontierte und in die vom Deutschen Reich verwüstete Sowjetunion brachte. Im Monat darauf beschlagnahmte die britische Besatzungsmacht die leeren Räume und richteten ihre eigene Druckerei dort ein, die GHQ Printing Press. (Das Amt für Kriegsschäden und Besatzungskosten des Bezirksamtes Wilmersdorf ersetzte Heenemann die von ihm errechnete „Besatzungsleistung“ von 292.000 Mark in voller Höhe.)
Im Frühjahr 1946 durfte Heenemann wieder einen Verlag gründen und eine Druckerei betreiben. Beides war zunächst in dem kleinen Haus Wilhelmsaue 22 angesiedelt und erhielt nach und nach Räume in Uhlandstraße 102, bis Anfang 1952 das ganze Haus von der britischen Druckerei geräumt war. Aus 19 Beschäftigten im Jahr 1948 waren zu diesem Zeitpunkt bereits wieder 75 Arbeiter und elf Angestellte geworden. Heenemann gelang es, vom Besatzungskostenamt des Senats für Gebäudeschäden und Umzugskosten „Besatzungskosten“ von 22.000 DM zu erhalten. In der Folgezeit ging es mit dem Betrieb rasant voran; zu den Druckkunden gehörten bald Verlage wie Walter de Gruyter, Westermann und Cornelsen, auch wieder das Bezirksamt, dazu der Germanische Lloyd und besonders die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Man warb 1963 um neue Kunden mit Aussagen wie: „Wir glauben, daß wir auf Grund unserer Qualität und auch Kapazität zu den führenden Berliner Druckereien gehören.“ (101)
Mit der Wiederbelebung der Zeitung hatte es kurz nach Kriegsende jedoch nicht geklappt, vermutlich weniger wegen der fehlenden Rotationsmaschine und dem knappen Papier, sondern es lag wohl eher „an den politischen Verhältnissen in Berlin“ (84), zu denen die politische Linie der Zeitung seit 1930 im Widerspruch stand. Offenbar wurde später kein neuer Versuch unternommen.
Stadtplaner und Politiker schlagen dem Individualverkehr eine weitere Bresche: Ende der Druckerei
Was im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurde, fiel vielerorts in den 60er Jahren dem Umbau Westberlins zur autogerechten Stadt unter Senator R. Schwedler (SPD) zum Opfer***. So kam 1969 auch das Ende dieses Betriebs an dieser Stelle, als die Einmündung der Uhlandstraße in die Wilhelmsaue in eine Kreuzung umgewandelt wurde. Seitdem zerschneidet die Uhlandstraße sechsspurig und doppelt so breit wie bisher die Wilhelmsaue****, zu welchem Zweck die Gebäude auf ihrer Ostseite und bis in die Wilhelmsaue hinein, die alle den Krieg überstanden hatten, enteignet und abgerissen wurden. Der Betrieb Heenemann wurde hoch entschädigt und zog nach Schöneberg.
MichaelR
Abb. 14 – abgeräumtes Grundstück Uhlandstraße 100 Ecke Wilhelmsaue, um 1970
(li. Uhlandstraße, re. Rückseite des Fabrikneubaus von 1924)
Anmerkungen
* Für Einzelheiten siehe „Chronologie“
** Die Seitenzahlen in Klammern verweisen auf die Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Fa. Heenemann (siehe „Materialien“). Diese Festschrift ist die wesentliche Grundlage für den Artikel.
*** Vgl. Tunnel am Adenauerplatz und Lewishamstraße.
**** Vgl. für die gegenüberliegende Seite der Wilhelmsaue hier den Abschnitt „Nach dem Krieg“.
Chronologie
25.9.1901 Wilmersdorfer Nachrichten (1.-5. Jahrgang)
1.10.1905 Wilmersdorfer Zeitung (5.-12. Jahrgang)
1.4.1912 Berlin-Wilmersdorfer Zeitung (12.-20. Jahrgang)
3.5.1920 (nach Übernahme von Charlottenburger Abendpost, Schöneberger Echo, Schmargendorf-Grunewalder Post) Der Berliner Westen (20.-32. Jahrgang)
1.1.1933 Der Westen (33.-44. Jahrgang)
1.9.1944 (Kriegsgemeinschaft mit Charlottenburger Zeitung, Steglitzer Anzeiger, Lichterfelder Anzeiger) West-Berlin (bis 18.4.1945)
(Letzte Zeitung vor Kriegsende in Groß-Berlin war von 22. bis 29.4.1945 Der Panzerbär – Kampfblatt für die Verteidigung Groß-Berlins)
Materialien
– Berlin-Wilmersdorf. Die Jahre 1920 bis 1945, hg. v. Udo Christoffel, Westberlin (Wilhelm Möller KG) 1985, S. 7f. [Stadtbücherei: B 152 Wil Wilmersdorf]
– Dussel, Konrad, Deutsche Tagespresse im 19. und 20. Jahrhundert, Münster (LIT Verlag) 2004, S.176
– Hambloch, Erwin, 1906 – 2006 | 100 Jahre Druckerei Heenemann, Berlin (Buch- und Offsetdruckerei H. Heenemann) 2006 [die Jahre vor 1906 und bis 1925 auch hier]
– Zeitschriftenkataloge: Mikrofilmarchiv der deutschsprachigen Presse; Zentral- und Landesbibliothek Berlin: Berliner Zeitungen und Zeitschriften auf Mikrofilm, S. 32
Abbildungen
1 Fotograf unbekannt (1907)
2 MichaelR
3-14 Firmenarchiv der Druckerei Heenemann
Danksagung
Herzlichen Dank an Frau Hella Heenemann für die Bereitstellung der Festschrift und die Überlassung der Abbildungen, an Herrn Erwin Hambloch für seine freundliche Unterstützung, an Huja für die Bearbeitung der Fotografien und an das Kiez-Web-Team Klausenerplatz für die Realisierung.
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 03. April 2017 - 21:53
Tags: druckerei/plätze/stadtgeschichte/straßen/verlag/wilhelmsaue/zeitung
Kein Kommentar
Kein Trackback
Trackback link: