Klischee und Überraschung
Ein frisch getrimmter malvenweißer Pudel in einem klinisch hellen Raum ziert das Titelbild. Um ihn herum liegen noch die Haarbüschel auf dem Tisch, die mit einem speziellen Rasierer entfernt wurden, um des Hundes Kern herauszumodellieren. Das Titelblatt eines Magazins soll verkaufen und gleichzeitig den Inhalt repräsentieren. Der etwas erschöpft und tuntig drein blickende Cerberus bewacht den Eingang des Magazins „Charlottenburg“; dies ist die dritte Nummer des Designprojekts Berlin Haushoch, das sich mit jeder Ausgabe einem Berliner Bezirk widmet. Nach bislang Marzahn und Wedding nun also Charlottenburg. Dieser nimmermüde (West-)Bezirk zwischen Zoo, Schloss und ICC ist mitnichten nur die Heimat lila ondulierter Damen, die ihre Schosshündchen über den Ku’damm spazieren führen. Hier gibt es auch die Ghettokids mit braunem Teint und dunklen Augen: Auf dem Rücktitel posiert ein schmaler Junge, auf dessen T-Shirt stolz „Charlottenburg“ prangt – in Fraktur.
Unter dem Label „Berlin Haushoch“ arbeiten Alexandra Bald, Ana Lessing und Esra Rotthoff. Die drei jungen Frauen studieren an der Fakultät Gestaltung der Universität der Künste Berlin. Für das Heft „Charlottenburg“, das während ihres Studiums entstand, haben sie für ein Jahr ein Redaktionsbüro in der Danckelmannstraße 41 bezogen, in den Räumen der Gewobag. Von hier aus prüften die Ethnologinnen des Alltags die sattsam bekannten Klischees und öffneten die unverbrauchten Augen für die Überraschung. Das Ergebnis ihrer Recherche mit fast quadratischen Seiten aus matt glänzendem Papier wirkt auf den ersten Blick wie eine Mischung aus „brand eins“ (dank des aufgeräumten Layouts) und „Wallpaper“ (wegen der opulenten Fotostrecken). Doch Haushoch ist, wie die Herausgeberinnen, Graphikerinnen und Illustratorinnen im Editorial schreiben, „ein Non-Profit Magazin“, produziert an und von der UdK. Also kein gefälliger Klon der Zeitgeistmanifeste aus den großen Verlagshäusern, stets auf der Suche nach den Movern und Shakern. Ob man die überhaupt in Charlottenburg fände?
Wie sieht denn das Charlottenburg aus, über das Bald, Lessing und Rotthoff schreiben: „Nirgendwo in Berlin wird das Moderne so schnell klassisch wie hier“? Sie portraitieren MitarbeiterInnen und Gäste der Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo, sie besuchen die rosa gewandeten Nonnen im Kloster St. Gabriel im Westend, sie bestaunen die Breakdancer und HipHopper am Breitscheidplatz, sie gehen auf die Partypiste am Ku’Damm und der Joachimsthaler Straße. Sehenswerte Fotos aus verblüffender Perspektive strukturieren das Heft und setzen optische Anker. So werden die Rasterfassaden der Hochhäuser am Ernst-Reuter-Platz verspielt und rätselhaft zugleich abgelichtet. Das sind weniger Gebäude zum Wohnen, Leben und Arbeiten, vielmehr Glas, Stahl und Beton gewordene geometrische Muster, unwirklich unter einem künstlich hergerichteten, unterkühlten Himmel. Das Playboyfossil Rolf Eden (der Mann ist deutlich über 70) liess die Kamera bis auf wenige Zentimeter an seine schlaffe, faltige Haut – es entstanden Makroaufnahmen eines verfallenden Körpers, wie aus dem Labor.
So ungewöhnlich die Bilder sind, so witzig und intelligent die Texte ausgewählter AutorInnen. Eher unfreiwillig komisch ist es, wenn sich besagter Rolf Eden im Interview über Brustoperationen und Viagra auslässt. Lehrreich hingegen ein Spaziergang mit einem pensionierten Pfarrer am Lietzensee, der schon um 1970 in der Gegend arbeitete, als sie noch von Rockerbanden in Angst und Schrecken versetzt wurde. Und nachdenklich stimmt ein Text über die zahlreichen Kleinbordelle, die wegen zunehmender Schließung von Amts wegen in ihrer Existenz bedroht sind. Charlottenburg ist sicher nicht der aktuelle Trendbezirk Berlins, gleichwohl versinkt es nicht in nostalgischem Gedenken an frühere Größe. Es ist ein Bezirk zum Leben nach dem Ankommen, oder in den Worten eines Portraitierten: „Das Leben hier macht erwachsen.“ Alexandra Bald, Ana Lessing und Esra Rotthoff mit ihrem frischen Blick von außen haben ein Bilderbuch über Charlottenburg herausgegeben, das Quartier erscheint so nobel wie bodenständig, so kreativ wie alternativ, so dörflich wie touristisch. Das wissen diejenigen, die hier leben, schon lange. Jetzt können es auch die Anderen erfahren.
Charlottenburg
Berlin Haushoch Magazin N°3
€ 7,-
Zu beziehen über die Webseite oder im gut sortierten Buchhandel. In Charlottenburg zum Beispiel im „Bücherbogen“ am Savignyplatz.
www.berlinhaushoch.de
Andrea Bronstering - Gastautoren, Kiez, Kunst und Kultur - 28. Februar 2009 - 00:04
Tags: berlin/charlottenburg/klausenerplatz
zwei Kommentare
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und sicher auch in Arnolds Buchhandlung
in der Danckelmannstraße 50
;)