Uhlandstraße 1945 (2)
26.11.2013: fünf Monate nach der Pressemitteilung „Zeitzeugen gesucht“
Ende Juni dieses Jahres rief Bezirksbürgermeister Naumann in einer Pressemitteilung (1) Zeitzeugen des Mordes an einem 17jährigen Deserteur auf, sich zu melden, um so zur Errichtung einer Gedenktafel beizutragen. Was ist seitdem passiert?
Zeitzeugen
Eine Reihe von Menschen, die meisten zwischen Ende 70 und Anfang 90, haben sich gemeldet; neun von ihnen berichteten für diesen Blog, wie sie das Kriegsende erlebt haben. Ihre Erzählungen machen deutlich, was Krieg eigentlich bedeutet, und wir erleben auch, wie schwer es manchen von ihnen fiel, selbst fast 70 Jahren später darüber zu sprechen, so schrecklich waren die Erlebnisse für sie, darunter auch der Anblick von auf offener Straße erhängten Deserteuren. Aber auch Erleichterung ist zu spüren, daß wir uns heute mit den damaligen Verbrechen beschäftigen: „Froh bin ich darüber, dass dies endlich an die Öffentlichkeit kommt.“
Wir haben allen Grund, diesen Menschen dankbar zu sein, die uns – trotz aller Schmerzen, die ihnen das verursachte – aus ihrem Leben erzählen, denn ihre damaligen Erfahrungen sind für uns wichtig: sowohl was das blindwütige Ende betrifft als auch seine Vorbereitung durch eine militaristische Erziehung. (2)
Was also die Zeitzeugen betrifft, ist in diesen fünf Monaten die Zeit gut genutzt worden. Und wie steht es mit der Gedenktafel selbst?
Gedenktafelkommission
Ein privater Hausbesitzer könnte jederzeit eine solche Gedenktafel an seiner Hausfassade anbringen. Da als Standort dieser Tafel aber nur der Mittelstreifen der Uhlandstraße an der Kreuzung mit der Berliner Straße infrage kommt, also öffentlicher Grund und Boden, muß der Weg über die Gedenktafelkommission eingeschlagen werden.
Die bezirkliche Gedenktafelkommission wurde im Oktober 2005 gegründet (Drucksache 1455/2). Acht Jahre lang, bis Anfang November, war sie für die interessierte Öffentlichkeit ein Phantom, das in dieser Zeit überhaupt nur viermal kurz auf der Website des Bezirksamtes auftauchte. Das hat sich seit dem 7.11. insofern geändert, als es nun eine offizielle Seite der Kommission gibt, auf der die Namen der Mitglieder genannt werden. Aber es heißt dort auch: „Die Sitzungen sind grundsätzlich nicht öffentlich.“ Und das bedeutet weiter: „Tagesordnungen und Niederschriften werden daher nicht veröffentlicht.“ (3) Selbst die selten gewordenen Sitzungstermine sucht man vergeblich im Sitzungskalender der BVV (4). Die Gedenktafelkommission ist also nach dem Willen ihrer Mehrheit weiterhin ein Geheimgremium.
Gedenktafeln richten sich jedoch in besonderer Weise an die Öffentlichkeit und wollen sie ansprechen. In einem obrigkeitlichen Staat mag über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden werden, wer oder was dem Volk als gedenkwürdig vorgesetzt wird. Aber das kann nicht hierzulande gelten, zumal nachdem gerade erst kürzlich die Bedeutung der Bürgerbeteiligung von den Parteien voll erkannt wurde. Es widerspricht elementaren demokratischen Grundsätzen, die Öffentlichkeit von der Entstehung ihrer Gedenktafeln auszuschließen. Ebenfalls widersinnig ist es, Initiatoren von Gedenktafel nicht einmal dann einzuladen, wenn sie darum bitten (5), denn wie sollen „Wünsche und Anregungen in der Gedenktafelkommission gerne beraten“ werden, wenn Anreger nicht Gelegenheit erhalten, Stellung zu beziehen, und die Kommissionsmitglieder folglich nicht vertiefte Nachfragen stellen können? Daher ist es sehr zu begrüßen, daß die Piratenfraktion der BVV im Rahmen ihrer Aktion „OpenAntrag“ aktiv geworden ist (Drucksache 0779/4).
So gesehen, hat die Initiative für diese Gedenktafel die kleine demokratischen Nebenwirkung, daß der Schleier über der Gedenktafelkommission erstmals eine Winzigkeit gelüftet wurde. Und die Gedenktafel selbst?
Die Gedenktafel
Da die Kommission geheim tagt und ihre Beschlüsse geheimhält, gibt es nur spärliche Informationen. Dies scheint jedoch der Stand der Dinge zu sein: Die Kommission „befürwortet“ zwar eine derartige Gedenktafel, hält es aber für notwendig, „ein erweitertes Gremium sowie eine Projektgruppe einzusetzen“. Dabei soll es offenbar darum gehen, a) sich einen Überblick über die Gedenkstätten im Bezirk zu verschaffen, mit besonderer Berücksichtigung von solchen für ermordete Deserteure, und b) sich Gedanken über die „Darstellung der SS-Geschichte im Stadtraum“ zu machen, weshalb auch „eine sofortige Umsetzung [der Gedenktafel] somit nicht möglich“ sei (6).
Zu a) Eine Gesamtdarstellung der Gedenktafeln im Bezirk gibt es gleich zweimal: auf der Seite des Bezirksamts und bei der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Auch für die Denkzeichen zur Erinnerung an die Ermordeten der NS-Militärjustiz am Murellenberg existiert ein Eintrag beim Bezirksamt. Darin heißt es:
„Unter den Nationalsozialisten wurde hier eine Wehrmachtshinrichtungsstätte errichtet: In der Murellenschlucht, am Hang des Murellenberges wurden zwischen dem 12. August 1944 und dem 14. April 1945 Deserteure, Wehrdienstverweigerer und Befehlsverweigerer unterschiedlicher Dienstgrade, mehrheitlich nach Urteilen des Reichskriegsgerichtes, standrechtlich erschossen.“
Offenbar gibt es die Vorstellung, damit sei genug für ihr Gedenken getan, aber das ist absolut nicht der Fall, wie die Texte der Zeitzeugen deutlich machen: Überall mitten in der Stadt fanden solche Morde statt: Uhlandstraße, Ruhrstraße, Blissestraße, Hermann-Ehlers-Platz, Dominicusstraße – um nur die hier genannten Orte zu erwähnen. Zur Erinnerung an diese Morde gibt es bislang nur drei Gedenktafeln im ganzen Land Berlin, davon keine in unserem Bezirk: am heutigen Hermann-Ehlers-Platz, in der Dominicusstraße und am Bahnhof Friedrichstraße. So wichtig die Gedenkstätte in der Murellenschlucht ist – sie ist weit weg vom Alltag; das unterscheidet sie ganz wesentlich von der geplanten Gedenktafel mitten in der Stadt, wo dieses Morden gerade in den letzten Kriegstagen vor aller Augen stattfand. Daher gehört diese Gedenktafel auch mitten in die Stadt.
Anmerkung zum Umgang mit Deserteuren Lange Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in der BRD Deserteure in der Öffentlichkeit als Vaterlandsverräter und Feiglinge geschmäht. Erste Initiativen für Deserteurdenkmäler entstanden Anfang der 1980er Jahre. Seitdem begann eine bundesweite Diskussion in Öffentlichkeit und Wissenschaft. Eine wichtige Folge davon und gleichzeitig ein Beitrag zu einer neuen Sicht auf die Deserteure war das Urteil des Bundessozialgerichts vom 11.9.1991, das feststellte , daß jeder, der im NS-Unrechtsstaat die Truppe verließ oder den Gehorsam verweigerte, Widerstand geleistet habe. Aber wieder erst Jahre später, 1998, beschloß endlich der Bundestag ein Gesetz gegen die NS-Unrechtsjustiz, das bis 2009 zweimal nachgebessert werden mußte. Wenn man diese mühselige Entwicklung vor Augen hat, läßt der von der Mehrheit der Gedenktafelkommission eingeschlagene Weg befürchten, das es hinterher heißt: Wir haben doch schon eine Gedenkstätte, und jeden einzelnen Deserteur können wir auch nicht ehren!
zu b) Sehr bedenklich stimmt in diesem Zusammenhang auch der zweite Punkt: Man will sich über die Darstellung der „SS-Geschichte im Stadtraum“ Gedanken machen, wohl weil der ermordete 17jährige Deserteur eine Jacke der Waffen-SS trug und daher möglicherweise ihr Mitglied war. Da war es diesem Jugendlichen genauso wie seinen Altersgenossen Günter Grass und Erich Loest ergangen, die es beide in die Waffen-SS zog: sie alle waren von Kindesbeinen an vom NS-Staat geprägt worden (vergleiche „Mit 17 in die Waffen-SS“). Worum es also hier geht, ist nicht die SS-Geschichte, sondern die Verführung von Minderjährigen zu einem menschenfeindlichen Verhalten. Gerade dies aber hatte der unbekannte 17jährige durch seine Kampfverweigerung durchbrochen. Und deswegen sollte seiner – ebenso wie all der anderen, die sich verweigert haben – gedacht werden. Der Text der Gedenktafel könnte lauten:
Hier wurde in den letzten Tage des April 1945
ein 17jähriger von Nationalsozialisten aufgehängt.
Zur Erinnerung an ihn und alle anderen,
die sich der Teilnahme am Krieg entziehen wollten
und deshalb ermordet wurden.
Die Errichtung der Gedenktafel sollte nun zügig in der Gedenktafelkommission vorangehen und schon beim nächsten Treffen Ende Januar 2014 auf der Tagesordnung sein, damit alle Zeitzeugen an ihrer Enthüllung teilnehmen können. Es sind schon über 200 € Spenden vorhanden, und eine Designerin hat sich auch schon zur Mitarbeit bereiterklärt. Unterstützung für dieses Vorhaben gibt es vom Aktiven Museum, von der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, der Berliner VVN-BdA, der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und Privatpersonen.
MichaelR
Zeitzeugen werden weiterhin gebeten, sich beim Aktiven Museum e.V., Stauffenbergstr. 13-14, 10785 Berlin, E-Mail: info@aktives-museum.de zu melden.
Es wird weiterhin um Spenden für die Herstellung der Gedenktafel gebeten auf das Konto des Aktiven Museums e.V. Nr. 610012282 bei der Berliner Sparkasse (BLZ 10050000), (wichtig:) Verwendungszweck: „Uhlandstraße 1945“.
(1) Sie wurde von sechs lokalen Zeitungen und weiteren Medien aufgegriffen, darunter dem Schwedischen Rundfunk.
(2) Daß die Vergangenheit nicht einfach vergangen ist, sondern in den Menschen weiterlebt, erwies sich schon bei der Errichtung der Gedenktafel für über 70 Charlottenburger Gegner des Nationalsozialismus in der Zillestraße, als sich Familienmitglieder von mehreren der dort Geehrten meldeten, die über ihre Verwandten berichteten und an der Enthüllung der Gedenktafel teilnahmen.
(3) Schreiben der Vorsitzenden vom 11.11.2013 an den Verfasser
(4) siehe z.B. die Sitzung vom 26.9.2013
(5) „Ihrer Bitte, Sie zur nächsten Gedenktafelkommission einzuladen, wird vorerst nicht entsprochen [!]. Die Gedenktafelkommission wird Ihren Wunsch
beraten und bei Bedarf [!], auf Sie persönlich zurückkommen.“ (Email des BV-Büros vom 22.8.2013 an den Verfasser)
(6) Email des BV-Büros vom 1.10.2013 an den Verfasser
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 26. November 2013 - 00:02
Tags: gedenken/kriegsende/nationalsozialismus
zwei Kommentare
Nr. 2, Siegfried Schlosser, 27.11.2013 - 16:15 ja, es geht auch anders. Wir arbeiten ja daran… |
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