Straße und Plätze: Vergnügungsetablissement „Flora“ am Luisenplatz
Wer den Luisenplatz – 1806 benannt nach Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz (1776-1810), Frau von Kg. Friedrich-Wilhelm III. – wer also den Luisenplatz in Charlottenburg sucht, wird ihn wahrscheinlich nicht finden. Er tritt nämlich ganz unplatzmäßig in Erscheinung: einerseits als die von einigen Wegen durchzogene Rasenfläche vor dem östlichen Schloßflügel, dem Knobelsdorff-Flügel, sowie andererseits als das daran angrenzende Stück Straße, das die Kaiser-Friedrich-Straße mit der Schloßbrücke verbindet.
Und wer das Vergnügungsetablissement „Flora“ sucht – zwischen dieser „Platz“straße und der Wintersteinstraße (damals: Spreestraße) –, wird es überhaupt nicht finden, da es bereits 1904 abgerissen und gesprengt wurde. Und dabei war es seinerzeit doch das bombastischste seiner Art weit und breit. Allein sein Hauptsaal, der „Kaisersaal“ (ausgestattet mit einer Bühne für Opernaufführungen), maß 45 x 23 Meter und war auch 23 Meter hoch – zur Zeit der Eröffnung am 22. Mai 1874 der größte Festsaal des Deutschen Reiches (damals noch von der Maas bis an die Memel), mit Platz für 10 bis 12 Tausend Menschen. Hinzu kam ein Palmenhaus (28 x 70 Meter) und eine Gartenanlage mit großer Fontäne, es gab große Pflanzenschauen, „Gondelflüge“ mit einem Ballon vom Garten aus (1875) und 1881 das erste Fahrradrennen auf Hochrädern (denen erst ab 1890 die Niederräder den Rang streitig zu machen begonnen, was dazu führte, daß Hochradfahren heutzutage eine Randsportart ist). Im selben Jahr trat auch der berühmte Bisonjäger William Frederick Cody (1846-1917), genannt Buffalo Bill, in der „Flora“ auf – ohne Sitting Bull (1831-1890), der sich gerade dem US-Militär ergeben hatte und erst 1885 unter Vorspiegelung falscher Tatsachen dazu verleitet worden war, als Statist an Codys Wild-West-Show teilzunehmen. Eine weitere Sensation für das Berliner Publikum waren die "Aschanti-Neger" im September 1887.
Wohl kein Wunder, daß auch Mitglieder der ksl. Familie das Etablissement frequentierten. Darunter war auch der spätere Großadmiral und jüngere Bruder des letzten deutschen Kaisers, Prinz Heinrich (1862-1929), der vielleicht am ehesten durch die nach ihm benannte Prinz-Heinrich-Mütze bekannt ist (die – trotz anderslautender Gerüchte – der kürzlich verstorbene Exbundeskanzler aus Hamburg nie getragen hat, nicht einmal einen Elbsegler, sondern bloß eine Helgoländer Lotsenmütze (1)). Jedenfalls war Prinz Heinrich ein begeisterter Aktivist des Autorennsports (2); und so kam es, daß er das Patronat für die Deutsche Automobil-Ausstellung im März 1903 in der „Flora“ übernahm.
Schon ein Jahr später, im März 1904, wurde mit dem Abriß des Etablissements begonnen; eine Art Höhepunkt stellte die Sprengung des Kaisersaals im April dar. Anschließend entstand an dieser Stelle das Wohnviertel mit Mietshäusern beiderseits der Eosanderstraße (bis zur Brauhofstraße).
Bildquelle: Sammlung Matthias Warnking
Spekulation und Fehlspekulation
Einer der größten Bodenspekulanten zu Beginn des Deutschen Reichs war Johann Anton Wilhelm von Carstenn-Lichterfelde (1822-1896). Er gründete bzw. initiierte verschiedene Villensiedlungen vor den Toren der neuen Reichshauptstadt: Lichterfelde West (daher sein Namenszusatz, als der Kaiser ihn 1873 in den Adelsstand erhob) und Ost, Halensee, Grunewald sowie Wilmersdorf (entlang der Bundesallee) samt Friedenau. Im sog. „Gründerkrach“ von 1873 ging Carstenn jedoch bankrott, und die Schaffung der Landhauskolonien in Wilmersdorf und Friedenau fand so gut wie nicht statt. Geblieben ist dort jedoch die mit seinem Namen verbundene „Carstenn-Figur“.
Carstenn war auch an der „Flora“ beteiligt, und zwar als Gründer der Flora-AG (mit dabei waren ein Bankier-cum-Weingroßhändler, ein Großgrundbesitzer und ein Polizeipräsident). Das Gelände hatte er 1869 erworben; es war dasselbe Grundstück (3), auf dem die bezirksbekannte Mätresse, Mäzenin und Innenraumgestalterin Gräfin Lichtenau (1753-1820) ein Palais nebst Park und verschiedenen Nebenbauten hatte errichten lassen. Das Palais wurde 1872 abgerissen (4),
der Park mit dem „prachtvollen Bestand alter Bäume, der daselbst vorhanden ist“, blieb jedoch unberührt, was „nicht hoch genug geschätzt werden kann, nachdem in Berlin schon fast die meisten Gärten ähnlicher Art der Bauspekulation zu Opfer gefallen sind“ (5) –
ein Problem, das bin zum heutigen Tag anhält und mangels großer Gärten jetzt Kleingartenkolonien und alle sonstigen Grünflächen betrifft.
Die Grundidee der „Flora“ war gewesen, ein „Vergnügungslokal im edelsten und grossartigsten Sinne“ zu schaffen mit einem Palmenhaus als „Kern- und Ausgangspunkt der Anlage“ (6) und vervollständigt „durch die Anfügung einer Festlokalität und durch die Disposition des Ganzen innerhalb eines grossen, entsprechend künstlerisch gestalteten Promenade- und Konzertgartens“ (7).
Auf diese Weise wurde die „Flora“ zwar das bombastischste Vergnügungsetablissement seiner Zeit, aber letztlich gab es nicht genug Sensationen, um eine derart groß dimensionierte Anlage ausreichend auszulasten. Kurz gesagt, sie war auf die Dauer unrentabel und erwies sich somit als „eines der bedeutendsten Spekulations- und Pleiteobjekte der Gründerzeit“ (8). Prophetisch stellte schon 1875 der Journalist Otto Glagau in seiner Serie „Der Börsen- und Gründungs-Schwindel in Berlin“ in der Zeitschrift Die Gartenlaube – Illustrirtes Familienblatt (9) fest: „Die ‚Flora‘ schwebt täglich in der Gefahr des Concurses, und Keiner vermag ihr zu helfen, denn nie ist ein Weib, und noch dazu eine Göttin, so rücksichtslos behandelt worden. Auch die allergrößte Theilnahme des Publicums kann sie [...] nicht wieder auf die Beine bringen.“
MichaelR
Materialien
Neben der in den Anmerkungen genannten Literatur sei noch auf den Artikel „Vergnügungsstätte ‚Flora‘" der Edition Luisenstadt hingewiesen.
(1) Allerdings sind sich die Fachleute nicht so ganz einig, ob die beiden nicht eventuell identisch sind. Außerdem gibt es da noch die Elblotsenmütze … Als Einstieg in die Fachliteratur seien empfohlen: Hamburger Abendblatt und Wikipedia. Jedenfalls soll Hans Albers im Film „Große Freiheit Nr. 7" eine echte Prinz-Heinrich-Mütze aufgehabt haben.
(2) Er stiftete die „Prinz-Heinrich-Fahrten“ für Tourenwagen, die 1908 bis 1910 stattfanden.
(3) Alfred P. Hagemann, Wilhelmine v. Lichtenau. Von der Mätresse zur Mäzenin, Köln/Weimar/Wien (Böhlau) 2007, S. 78. – Dort findet sich eine detaillierte Darstellung des Palais.
(4) Hubert Stier, Berliner Neubauten. Die Flora zu Charlottenburg bei Berlin, in: Deutsche Bauzeitung, Jg. VII, Nr. 32, S. 121. – Weiter heißt es dort zum Lichtenauschen Palais: „Trotzdem es in jener Zeit [d.h. um 1787] gewiss als Luxusbau hatte gelten sollen, war sein künstlerischer Werth doch ein äusserst geringer, und offenbarte sich hierin, wie auch in der mangelhaften technischen Herstellung des Baues und seiner Dekoration durchaus die Verkommenheit jener Epoche.“ – Hubert Stier (1838-1907) leitete den Bau der „Flora“ ab 1872, nachdem der ursprüngliche Architekt, Johannes Otzen (1834-1911), sich aus der Zusammenarbeit mit Carstenn zurückgezogen hatte.
(5) ebd. – Die Zeitschrift berichtete in Fortsetzungen ausführlich über Hauptgebäude (S. 149: Grundriß und Raumaufteilung; vor S. 165: perspektivische Ansicht der Gartenfront) und Palmenhaus (S. 259).
(6) Zur gesellschaftlichen Bedeutung von Palmenhäusern und anderen Glaspalästen im 19. Jahrhundert siehe hier (Spiegel Online).
(7) Deutsche Bauzeitung, ebd., S. 121
(8) Harald Reissig, Die Flora, in: H. Engelmann u.a. (Hg.), Geschichtslandschaft Berlin. Orte und Ereignisse, Bd. 1 Charlottenburg, Teil 1 Die historische Stadt, Berlin (Nicolai) 1986, S. 122 [Stadtbücherei: B 152 Charlottenburg]
(9) Otto Glagau, Der Börsen- und Gründungs-Schwindel in Berlin, 9. Die „große Zeit“ und die „großen Dinge“, in: Die Gartenlaube – Illustrirtes Familienblatt, Heft 35 (1875) , S. 588
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 31. Oktober 2016 - 00:24
Tags: abriss/luisenplatz/plätze/spekulation/straßen
zwei Kommentare
Nr. 2, M.R., 03.01.2021 - 11:41 Hundemusterung am Luisenplatz Der damals 8jährige Helmut Meyer ( http://blog.klausenerplatz-kiez.de/archi.. ) beobachtete in den Sommerferien 1942 mit seiner Clique dies: Lautes Gebell und Hundegeheul, mit Schüssen untermalt, zog uns zum Park am Luisenplatz. Dort kam der deutscheste aller Hunde, der ‘Deutsche Schäferhund’, an die Reihe, um in einer Musterung seine Eignung für den Kriegseinsatz zu beweisen. Der Bedarf an Hunden für die Kriegsführung war groß und sollte, da keine eigenen Züchtungen des Staates vorhanden waren – und auch neue Züchtungen einen zu langen Zeitraum beansprucht hätten -, mit den Hunden von Züchtern und Hundehaltern gelöst werden. Amtlich aufgefordert, waren Züchter und Hundehalter zur Musterung der Tiere verpflichtet worden. Die Musterung schloss bei einer Eignung auch gleich die Enteignung durch den Staat ein. Der Luisenplatz war der Ort der Musterung. Die Wehrmacht hatte eine Übungsstrecke eingerichtet, auf der die Hunde geprüft wurden. Um den Züchtern den künftigen Einsatz ihrer vierbeinigen Freunde zu zeigen, waren bereits entsprechend abgerichtete und ausgerüstete Hunde an den Vorführungen beteiligt. Wir verfolgten dieses über mehrere Tage gehende Spektakel nit großer Spannung. (Mitteilung von Juli 2020) |
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jüngstens: zur erinnerung an die Gräfin nebenan
https://www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/aktuelles/pressemitteilungen/2016/pressemitteilung.516229.php
auch heute sind Tropenhallen noch en vogue – jedoch ebenfalls defizitär, subventioniert und bedroht
http://www.berliner-zeitung.de/berlin/tr..
https://www.tropical-islands.de/tropische-welt/attraktionen/regenwald/