SPD will weiterhin aus politischem Kalkül BA-Zwangsarbeiter nicht ehren
Wie ist es mit der provisorischen Gedenktafel für die ehemaligen Zwangsarbeiter des Bezirksamtes Wilmersdorf in der Wilhelmsaue 40 seit ihrer Enthüllung* am 9.12.2017 weitergegangen?
Fünf Tage danach stellte Bezirksverordneter A. Kaas Elias (Grünenfraktion) dankenswerterweise auf der BVV-Sitzung vom 14.12. dem Bezirksamt folgende Frage (Frage 3, Drucksache 0549/5):
Wie bewertet das Bezirksamt die provisorische Gedenktafel der Berliner Geschichtswerkstatt zum Gedenken an das Zwangsarbeiterlager in der Wilhelmsaue 40?
Wie kann dieses Provisorium in eine dauerhafte Lösung überführt werden?
Der Tenor der Antwort der BzStRin Schmitt-Schmelz (SPD) war: 1. Es gäbe verschiedene Meinungen zu dem Thema; das Bezirksamt habe seine diesbezüglichen Nachforschungen aber noch nicht abgeschlossen. 2. Einen genauen Zeitpunkt dafür könne sie noch nicht nennen, denn die Nachforschungen sollten ja gründlich sein. 3. Nach Abschluß werde sich dann die Gedenktafelkommission mit dem Thema befassen (vehementer Beifall, nur von SPD-Fraktion).
1. Die Ausgangslage
Es geht im Kern um die Bewertung dieser beiden Dokumente: (a) die vom Gesundheitsamt Wilmersdorf aufgestellte Liste der Zwangsarbeiterlager im Bezirk (30.11.1942), in der in der drittletzten Zeile sich das Bezirksamt selbst („Bez.Verw. Wilmsdf.“) als Betreiber eines Lagers in der Wilhelmsaue 40 bezeichnet; und (b) die Anweisung des stellv. BzBgm. vom 30.4.1944, in der er festlegt: „Ich behalte mir den Arbeitseinsatz der Ausländer selbst vor.“
2. „Verschiedene Meinungen“
A) Prof. Rürup, Prof. Benz, Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit, Berliner Geschichtswerkstatt
Die Historiker Prof. Rürup und Prof. Benz, Frau Dr. Glauning** (Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit der Stiftung Topographie des Terrors) sowie die Berliner Geschichtswerkstatt haben Stellungnahmen verfaßt.
Sie kommen allesamt zu folgendem Ergebnis: Es gab tatsächlich in Wilhelmsaue 40 ein vom damaligen Bezirksamt Wilmersdorf betriebenes Zwangsarbeiterlager für die Zwecke des Bezirksamtes.
B) Die Gegenmeinung
Hauptvertreter der Gegenmeinung sind BzBgm. Naumann (SPD), BzStRin Schmitt-Schmelz (SPD), als wissenschaftlicher Mitarbeiter Kulturwissenschaftler K. (Linkspartei), im Hintergrund die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion.
Wie seriös gehen sie mit den beiden Dokumenten und den Stellungnahmen um? Wie sehen ihre gründlichen Nachforschungen aus? Und wie wichtig ist ihnen das „überfällige“ Gedenken (Email Naumann 16.11.2015)?
1. Der Bezirksbürgermeister: Im November 2015 lehnte er ein mir zugesagtes Gespräch, an dem Dr. Glauning teilnehmen wollte, ab: „Ich bitte um Verständnis, dass eine Erörterung auf meiner Ebene [!] derzeit nicht erfolgen kann.“ (Email Naumann). Die Erörterung erfolgte auch nicht am 16.2.2016; stattdessen gab er auf der Sitzung der Gedenktafelkommission die weitere Linie vor („Nichts ist abträglicher als ein Schnellschuß“***) und behauptete, sein NS-Amtsvorgänger sei nur „der verlängerte Arm der Gauleitung“ gewesen. Hatte der Bürgermeister sich nicht vorbereitet und das zweiten Dokument über den Arbeitseinsatz der Ausländer gelesen? Und wenn ihm seriöse Klärung wichtig ist: Warum hat er bis heute (Dezember 2017) nicht Dr. Glaunings Stellungnahme vom Mai 2017 beantwortet?
Im Ergebnis versucht der SPD-Bürgermeister seinen NS-Amtsvorgänger zur willenlosen Marionette kleinzureden und vermeidet über zwei Jahre jeglichen Gedankenaustausch mit einer einschlägigen Fachfrau. Das ist bewußte Verschleppung und kennzeichnet die behauptete Überfälligkeit als bloße Heuchelei.
2. Die Bezirksstadträtin für Kultur: Es ist verständlich, daß sie sich vor unserem Gespräch am 13.2.2017 von der kulturpolitischen Sprecherin ihrer Fraktion hat briefen lassen, denn sie ist keine Historikerin. Aber kann letzteres als Entschuldigung reichen, wenn sie im Laufe des Gespräches zu bedenken gab, daß die Hausnummer „40“ vielleicht ein Tippfehler sei und es eigentlich „4c“ heißen müßte – und das dann als „Scherz“ verstanden wissen wollte? Oder am 13.6.2017 im Kulturausschuß: Um einen bis dahin mehrheitlich unterstützten Antrag für ein Gedenken am Haus Wilhelmsaue 40 last minute zu kippen, zog sie plötzlich einen Brief hervor, dessen Verfasser sie zu verschweigen versuchte, den sie niemandem zeigte und der ohne Beweise eine neue Hausnummer ins Spiel brachte. Worauf die Stadträtin im folgenden erregten Gespräch schmunzelnd vorschlug: „Dann stellen wir die Gedenktafel halt dazwischen!“
Im Ergebnis kann man nicht sagen, daß mangelnde Sachkenntnis gepaart mit mangelnder Ernsthaftigkeit jemanden dazu prädestiniert, Dokumente und Stellungnahmen von renommierten Wissenschaftlern ernsthaft in Zweifel zu ziehen.
3. Kulturwissenschaftler K.: Er ist der einzige mit wissenschaftlichem Anspruch, der diese Gegenmeinung unterstützt. Dazu benutzt er verschiedene Methoden, um das Zwangsarbeitslager des Bezirksamtes wegzuzaubern: (a) Spitzfindigkeit: Hausnummer 40 gäbe es nicht, weil in der Flurkarte „39-41“ steht (aber dann gibt es auch nicht das Rathaus Charlottenburg in der Otto-Suhr-Allee 100, weil das Gebäude im Flurplan die Nr. „98/100/102“ trägt). (b) Intensive Suche nach Dokumenten, in denen das Lager nicht auftaucht, weil es dort nicht auftauchen kann (z.B. in seinem oben erwähnten „anonymen Brief“ an die BzStRin: eine Liste der Lager der „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt“, wozu das Lager in der Wilhelmsaue bekanntlich nicht gehörte). (c) Methode Palmström (nach Christian Morgensterns Gedicht „Die unmögliche Tatsache“ mit dem schönen Schluß: „Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.“), indem er aus der damaligen Regelung, daß Bezirksämter nicht eigenständig über den Arbeitseinsatz ziviler Zwangsarbeiter bestimmen konnten, schließt: dann kann dort auch kein Lager des Bezirksamtes gewesen sein. Dazu Dr. Glauning in ihrer Stellungnahme**: „Wer die Geschichte des Nationalsozialismus intensiv studiert hat, [weiß]: Was zentral geregelt werden sollte, ist nicht immer so bis in die untersten Verwaltungsebenen hinein umgesetzt worden.“ (d) Außerdem: nicht auf vorgelegte Dokumente eingehen, grundsätzlich keine Fragen beantworten (z.B. die von Dr. Glauning), Behauptungen aufstellen und nicht belegen (z.B. der oben erwähnte Brief).
4. Die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion: Sie tritt kaum offen auf, schreibt der BzStRin erkennbar die Antworten (z.B. für das oben erwähnte Gespräch und die Beantwortung der mündlichen Anfrage).
5. Hinweis! Diese Ausführungen zu den Protagonisten sind nur ein kleiner Ausschnitt aus den Geschehnissen im Laufe von drei Jahren. Einen ausführlicheren Überblick -- weitere Bedenken (wie „Das Lager stand gar nicht im Telefonbuch.“), die jahrelange Hin-und-Herschieberei des Anliegens zwischen Bezirksamt, BVV, Kulturausschuß und Gedenktafelkommission, Anfragen bei Behörden, deren Antworten nie veröffentlicht werden, und manches mehr – finden Sie hier unter dem Stichwort „Zwangsarbeit“.
3. Folgerungen
Es gehört vonseiten des Bezirksamt und der Mehrheit der BVV (SPD und CDU als Unterstützer) schon viel Kaltblütigkeit dazu, zu behaupten, man würde sich seriös und gründlich um die Frage der Zwangsarbeiter bemühen, und die Einwände gegen die Existenz des Lagers als eine fachlich begründete „Gegenmeinung“ auszugeben. Die politisch Verantwortlichen im Bezirk sind so abgebrüht, daß auch nach drei Jahren ihnen ihr Taktieren nicht zu schäbig ist – selbst wenn dadurch jedermann erkennt, daß ihnen jegliches Mitgefühl für die Leiden der Zwangsarbeiter abgeht.
Offenbar passen dem BzBgm. und seiner Partei nicht in ihr schönes Bild von der City West, daß die NS-Amtsvorgänger dort Herren über Zwangsarbeiter waren. Es ist auch zu hören, daß in diesen Kreisen die Sorge besteht, es könnte bei Anerkennung der historischen Verantwortung Schadensersatzforderungen gestellt werden. Hintergrund davon ist die Tatsache, daß bisher staatliche Betriebe und private Unternehmen diejenigen waren, denen vor allem die Haltung und Verwendung von Zwangsarbeitern angelastet wurde; kommunale Einrichtungen kamen kaum in den Blick. Mit der Anerkennung dieses Lagers seiner Vorgänger würde das Bezirksamt also möglicherweise einen Anstoß zu Nachforschungen viel größeren Umfangs bei den Bezirken und kommunalen Einrichtungen geben. So ist auch verständlich, warum die kulturpolitische Sprecherin der SPD ihrem eigenen Hinweis auf ein ebensolches Lager des Bezirksamtes Charlottenburg in der Schule in der heutigen Nithackstraße**** nie weiter nachgegangen ist.
MichaelR
* Berichte zur Enthüllung: Tagesspiegel, Im Westen Berlins, Berliner Abendblatt S. 7, Berliner Woche
** Auszug aus Dr. Glaunings Schreiben vom 16.5.2017 an BzBgm. Naumann:
Das zentrale Dokument in diesem Kontext ist die Liste des Gesundheitsamtes Berlin-Wilmersdorf vom 30. November 1942, die an das Hauptgesundheitsamt der Stadt Berlin geschickt wurde. Die erste Spalte bezeichnet eindeutig die Profiteure und die Verantwortlichen für die in der zweiten Spalte aufgelisteten Lager: Ob es die Organisation Todt ist, die Reichsbahndirektion, verschiedene Betriebe oder eben die Bezirksverwaltung Wilmersdorf für das Lager Wilhelmsaue 40. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, warum dies in Frage gestellt wird. Das ist ein offizielles zeitgenössisches Dokument. Warum sollte das bezirkliche Gesundheitsamt hier eine falsche Angabe an das Berliner Hauptgesundheitsamt übermitteln? Die Debatte um Hausnummern, die sich immer mal ändern können, finde ich sehr irritierend – zumal es die Adresse Wilhelmsaue 39/40 in der Vergangenheit durchaus gegeben hat.
Das andere angeführte Argument (Stellungnahme H. Knobloch, Mai 2017), dass der Zwangsarbeitseinsatz zentral geregelt und organisiert war und dass die Bezirksämter nicht eigenständig über den Arbeitseinsatz ziviler Zwangsarbeiter bestimmen konnten, ist nicht stichhaltig. Wer die Geschichte des Nationalsozialismus intensiv studiert hat, stößt auf zahlreiche Fälle, in denen die mittlere und untere Ebene anders agiert hat als die zentralen Verwaltungen, Ministerien und Behörden. Anders ausgedrückt: Was zentral geregelt werden sollte, ist nicht immer so bis in die untersten Verwaltungsebenen hinein umgesetzt worden.
In diesem Fall ist es ganz klar: Das Schreiben des damaligen Bezirksbürgermeisters, Dr. Thümer, vom 30. April 1944 an alle Dienststellenleiter des Bezirks Wilmersdorf belegt eindeutig, dass einzelne Dienststellen des Bezirks eigenmächtig agiert haben, um sich Zwangsarbeiter zu sichern. Dieses Dokument belegt außerdem, dass der Bezirksbürgermeister selbst eingreift, um dies zu unterbinden. Er verweist dabei nicht an höhere Stellen, sondern stellt klar, dass er selbst über den Arbeitseinsatz entscheidet. Er erteilt sogar dem Lagerleiter die Weisung, dementsprechend die Zwangsarbeiter einzusetzen.
Die Verantwortung des Bezirks für den Zwangsarbeitseinsatz im Bezirk ist damit klar dokumentiert.
*** Ebenso in der Senioren-Bezirksversammlung am 13.4.2016: „Seriosität vor Schnelligkeit“.
**** Laurenz Demps, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterlager in der faschistischen Reichshauptstadt Berlin 1939-1945 (1986), S. 88, Nr. 134
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 19. Dezember 2017 - 00:24
Tags: bezirksamt/gedenken/nationalsozialismus/zwangsarbeit
zwei Kommentare
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Lieber Michael Röder
Die Überlegung, dass das BA so agiert, um Schaden für den Bezirk abzuwenden, ist interessant. Vielleicht sollte die historische Kommission gebeten werden, denn natürlich war Charlottenburg kein Einzelfall. In jedem Fall ist zu prüfen, wer dort eingesetzt war, ob es noch Angehörige gibt und ob sie eingeladen werden können. Und die Geschichte der beiden Parteien in dem Bezirk wäre offenbar auch eine Nachforschung wert.
Beste Grüße