„Ökokiez 2020“ und Gentrifizierung aus Sicht der Parteien in der BVV
Das Thema des Monats Mai 2012: Wird mit dem Projekt Ökokiez 2020 die „Gentrifizierung“ des Quartiers betrieben?
Diesen Monat hat die Grüne Partei das „Thema des Monats“ auf der Seite der BVV ausgewählt und sich dafür entschieden, ihr Projekt „Ökokiez 2020“ gegen den Vorwurf, es fördere die Gentrifizierung, in Schutz zu nehmen, wobei gleich auf den ersten Blick zweierlei auffällt: zum einen, daß einer der Förderer dieses Projekts es für notwendig hält, endlich einmal öffentlich Stellung zu beziehen, und zweitens, daß der Grünen Partei Gentrifizierung wohl nicht als eine reale Bedrohung erscheint, denn man setzt das Wort in Gänsefüßchen und erklärt sie damit zu einer „sogenannten“.
Man will also mit „Ökokiez 2020“ „exemplarisch herausfinden“, ob mehr Klimaschutz stattfinden kann, „ohne zu Mietsteigerungen und Gentrifizierung zu führen“. Falls mit Klimaschutz energetische Sanierung gemeint wäre, könnte man schon jetzt den zukünftigen Tod des Versuchskaninchens Klausenerplatzkiez voraussagen; dazu muß man bloß in das 102.000 € teure Klimaschutzkonzept der Fa. B.&S.U. auf Seite 17 schauen:
„Verschiedene Studien kommen zu dem Schluss, dass unter Anrechnung aller notwendigen Begleitmaßnahmen und Nebenkosten die energiesparenden Maßnahmen häufig deutlich mehr kosten als die in absehbarer Zeit erreichbaren Heizkostenersparnisse. Dies gilt insbesondere in Berlin und ganz besonders in Gründerzeithäusern, die auch den Klausenerplatz-Kiez prägen.“
Da es hier aber um „Nutzerberatung, Optimierung des öffentlichen Nahverkehrs [welcher öffentliche Nahverkehr auf dem ½ km²?], Straßenbegrünung [die fand doch gerade statt unter Beteiligung des Baustadtrats und ohne die Mithilfe eines Klimaschutzmanagers], bessere Durchlüftung durch Öffnung von Höfen“ gehen soll, fragt man sich: Ist das jetzt wirklich ernst gemeint? In einem Viertel, das schon jetzt die Senatsvorgaben für 2030 erreicht (siehe dazu im Abschnitt „Wie sinnvoll ist es ...“)? Und für solche eher Selbstverständlichkeiten (die hoffentlich auch das hiesige Umweltamt aus eigener Kraft zustande bringt) braucht man ein „Pilotprojekt“ für 102.000 € + einen Klimaschutzmanager (ca. 3 x 55.000 €) + Nebenkosten, alles zu Lasten der allgemeinen Öffentlichkeit und zugunsten der eigenen Klientel vor Ort?
Schließlich heißt es noch in der Stellungnahme der Grünen Partei, daß die „Sanierungen der Gewobag nicht in Zusammenhang mit dem Ökokiez [stehen]“. Wie das? Hat die Gewobag nicht
a) 10.000 € für das Zustandekommen des Klimaschutzkonzepts beigesteuert,
b) sitzt sie nicht in der Steuerungsgruppe von „Ökokiez 2020“, und
c) spekuliert nicht das Bezirksamt darauf, daß die Gewobag als Kofinanzier für den beantragten Klimaschutzmanager auftritt? Hat man je schon davon gehört, daß ein Unternehmen wie die Gewobag - deren „zu Unmut [!?] führende Sanierungen“ bis über 40% Mietsteigerung bringen werden – aus Wohltätigkeit ein „Pilotprojekt“ einer Grüner Partei u.a. fördert, wenn es ihr bei ihren mietpreistreibenden Aktivitäten nicht in die Hände spielen würde? Hier im Blog wurde am 2. Mai berichtet,
„daß ein Mitarbeiter der GEWOBAG [einem Mieter] zum Modernisierungsvorhaben sinngemäß folgendes sagte: Das Vorhaben ziehen wir auf jeden Fall durch. Danach werden wir weiter alle 15 Monate die Miete um 10% erhöhen. Nach sieben Jahren wird hier keiner mehr wohnen, der sich die zukünftigen Mieten nicht leisten kann.“
Was werden Sie, die Grüne Partei, hiergegen unternehmen?
„Konsens mit der Bevölkerung“? „Partizipative Elemente“? „Belange der Mieterinnen und Mieter berücksichtigt“? Was hat diese politische Lyrik nach dem Geschmack des Zeitgeistes mit den tatsächlichen Vorgängen um „Ökokiez 2020“ zu tun? Es sei an folgendes erinnert:
Im Klimaschutzkonzept heißt es auf Seite 66:
„Um ggf. weitere Vorbehalte bezüglich des lokalen Klimaschutzes (vor allem die energetische Sanierung von Wohngebäuden) abzubauen, ist eine kontinuierliche und strategische Öffentlichkeitsarbeit erforderlich.“
Das heißt doch auf deutsch: Die Anwohner wollen nicht so wie die SPD, folglich müssen sie bearbeitet werden, um “eine Identifikation mit dem Projekt herbeizuführen“ (ebd.).
Es gibt also eben keinen „Konsens mit der Bevölkerung“.
„Partizipative Elemente“ im Hinblick auf die Mieter gab es
a) nie, und eine Partizipation an diesem Projekt wurde
b) von den Anwohnern ganz überwiegend nicht gewünscht:
Zu a) sagt das Klimaschutzkonzept auf Seite 2:
Es „wurden [bei der Ausarbeitung des Konzepts] zahlreiche Interviews mit Akteuren im Kiez bzw. Bezirk und dem Land Berlin geführt sowie die Ergebnisse der am 12. und 13. September 2011 durchgeführten Expertenworkshops mit rund 50 Teilnehmern berücksichtigt“.
Allerdings waren diese „Akteure“ eben nie Anwohner, sondern immer nur Behörden, Vereine, Gewerbetreibende (Klimaschutzkonzept, S. 176f.). Von Partizipation der Anwohner kann also gerade nicht die Rede sein. (Wer mehr Einzelheiten nachlesen will, findet sie hier im ersten Abschnitt.)
Auch zu b) findet sich im Klimaschutzkonzept auf Seite 63 eine Aussage (der Abschnitt heißt korrekterweise übrigens „Partizipative Einbindung der Akteure“ und nicht „der Anwohner“!): Es wurde
„eine Umfrage unter Gewerbetreibenden und Bewohnern zu elektronischen Geräten im Betrieb bzw. Haushalt und dem individuellen Verhalten durchgeführt. Aufgrund des geringen Rücklaufs konnten die Ergebnisse jedoch nicht weiter verwandt werden.“
Womit man logischerweise wieder bei der eingangs erwähnten klimaschutzmanagergestützten Bearbeitung der Anwohner wäre. „Ökokiez 2020“ ist nun einmal keine Aktion des Kiezes, sondern die Idee einer bezirklichen Zählgemeinschaft und eines Bürgervereins, die hier durchexerziert werden soll. Daß die SPD eigentlich ganz hilflos ist, wenn sie hier fordert, daß „die Belange der Mieterinnen und Mieter berücksichtigt“ werden sollen, zeigt sich bei den augenblicklichen Sanierungsaktivitäten der Gewobag, einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft, die trotz der Oberaufsicht eines SPD-Bausenators und trotz eines SPD-Baustadtrats halt nur „ihre eigenen Belange berücksichtigt“. Dazu gehört als flankierende Maßnahme – wie ich oben bei der Grünen Partei aufgezeigt habe – ihre Mitarbeit beim „Ökokiez 2020“ der rot-grünen Zählgemeinschaft; etwas Besseres konnte der Gewobag gar nicht passieren.
Was werden Sie, die SPD, jetzt tun, um die Mieter der Sanierungshäuser in der Seelingstraße und den Mieterbeirat zu unterstützen? Und um Ihrem Baustadtrat bei seinen Versuchen, mit der Gewobag ein Abkommen zu schließen, den Rücken zu stärken? Und damit die mietpreisdämpfenden Ankündigungen Ihres Bausenators nicht bloß Ankündigungen bleiben? (Die Äußerungen von Herrn Müller Anfang Mai lassen leider nichts Gutes vermuten, denn er „warnte vor ‚pauschalen Dramatisierungen‘ in der Debatte um Wohnungsmieten und die Verdrängung von alteingesessenen Bewohnern aus ihren Kiezen. Im internationalen Vergleich ‚stehen wir noch gut da‘.“ Siehe dazu als Antwort: „Kein Geld für höhere Mieten“ in der Mai-Ausgabe des MieterMagazins, S. 10)
Die CDU hat den Vorteil, sozusagen in der Opposition zu sein, so daß sie einige Wahrheiten zum Thema aussprechen kann:
Ja - ein von der BVV für den ganzen Bezirk (64,7 km²) gefordertes Klimaschutzprogramm wurde klientelwunschgemäß von der Zählgemeinschaft auf lächerliche 0,5 km² eingedampft (siehe dazu Drucksache 0551/3).
Ja - das Klimaschutzkonzept für 102.000 € öffentliche Gelder ist dafür gedacht, dem Bezirk für seine eigenen Liegenschaften Handlungsanweisungen zu geben (siehe hier im Abschnitt „Wie sinnvoll ...“). Aber der Bezirk hat nur eine einzige Liegenschaft in dem Viertel – und für die gibt es bereits seit 2010 einen Sanierungsplan.
Ja - die Zählgemeinschaft betont natürlich immer wieder, daß „Ökokiez 2020“ nicht die Anwohner finanziell belasten soll. (Wie paßt übrigens dazu, daß auf der Sitzung des Grünflächenausschusses am 2. Mai im Rathaus Wilmersdorf jemand aus dem Kreis der Ziegenhofinitiative auf den „Wertschöpfungsfaktor des Ziegenhofes“ hinwies, der sich darin ausdrücke, daß „die Preise für Vermietung gestiegen“ sind?) Aber es ist auch eine Tatsache, daß Frau Umweltstadträtin Jantzen größten Wert darauf legte, daß bei der offiziellen Veranstaltung am 29. Februar kein einziges Wort zum Thema „Ökokiez 2020 und Mietpreissteigerungen“ fiel. Auch ihre Antwort auf meine Bürgeranfrage (3. Bürgerfrage/2. Unterfrage) zeigt, daß das Bezirksamt sogar bezüglich der Finanzierung des für so dringend notwendig erachteten Klimaschutzmanagers noch im dunkeln tappt.
Wenn Sie, die CDU, dies alles wußten, warum haben Sie dann trotzdem im Umweltausschuß vom 10. Januar dem Klimaschutzkonzept für den ½ km² zugestimmt sowie den Antrag an den Projektträger Jülich auf Förderung eines klientelgewünschten Klimaschutzmanagers mitgetragen? Was haben Sie für Pläne?
Die Aussage der Piratenpartei ist klar. Darüber hinaus hat sie es nicht dabei belassen, sondern auf der Aprilsitzung der BVV einen Antrag auf ein Sanierungsmoratorium gestellt, der in den Stadtentwicklungsausschuß überwiesen wurde (Drucksache 0208/4). Dort heißt es:
„Das Bezirksamt wird aufgefordert, für alle geplanten Sanierungsmaßnahmen der städtischen Wohnungsbaugenossenschaften im ehemaligen Sanierungsgebiet Klausenerplatz ein Moratorium zu verhängen.
Im Rahmen eines Moratoriums soll die Gewobag verpflichtet werden, prüffähige Unterlagen vorzulegen, aus denen hervorgeht, welche Baumaßnahmen geplant werden und insbesondere welche davon zu einer Mieterhöhung im Rahmen einer sog. Modernisierungsumlage führen würden.“
Ziel des Antrags ist, das Viertel zu einem Modell für Nichtgentrifizierung zu machen.
Wie stehen Sie, die anderen Parteien, und Ihre Vertreter im Bezirksamt zu diesem Antrag, und was werden Sie zu seiner Umsetzung tun?
Dieser Beitrag geht am stärksten auf die Details der augenblicklichen Entwicklung ein.
Dabei ist der Hinweis richtig, daß „Ökokiez 2020“ nicht „die Ursache der Gentrifizierung“ ist, denn die Gewobag modernisiert eh nach eigenen Vorstellungen, aber das Projekt ist doch der Deckmantel, unter dem die Wohnungsbaugesellschaft auftreten kann und auftritt (s.o. zur Grünen Partei), und es leistet Vorarbeit für Gentrifizierung in einer Zeit, in der „energetische Sanierung“ gern als zeitgeistiger Vorwand dafür dient:
„Vor allem ökologische Argumente müssen für einen Stadtumbau herhalten, der soziale Ungleichheiten verschärft.“
Die Vertreter der fünf an der Diskussion beteiligten Parteien werden gebeten, ihre Antworten auf die obigen Fragen auch hier im Blog zu veröffentlichen!
MichaelR
Michael R. - Gastautoren, Politik - 08. Mai 2012 - 00:34
Tags: charlottenburg/gentrifizierung/klausenerplatz/sanierungsvorhaben/ökokiez
sechzehn Kommentare
Nr. 2, maho, 09.05.2012 - 23:15 Klimaschutzmanager von Kleinkleckersdorf bis zu Buxtehude an der Quarkmühle beschäftigen die jeweilige Lokalpolitik. Eine kleine Posse aus der Provinz “Knatsch um den Klimamanager” http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/b.. |
Nr. 5, neu, 23.05.2012 - 22:03 SPD Abteilung 75 Hier der link zur ortsansäßigen Lietzenseeabteilung http://www.spd-lietzensee.de/2012/05/was.. |
Nr. 8, maho, 29.05.2012 - 23:55 ...“Mit Sorge höre ich vom Bezirksverband der Kleingärtner Berlin-Wilmersdorf e.V., dass die Kolonien Durlach, Paulsborn-Kodowa, Oenhausen einer wie auch immer gearteten Bebauung weichen sollen! Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse das städtische Klima betreffend, frage ich die Verantwortlichen, ob ein derartiger Schritt überhaupt angedacht werden darf”. ... Siehe: http://blog.klausenerplatz-kiez.de/archi.. Kleingartenkolonien abschaffen und auf einem ½ km² des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf einen sog. “Ökokiez” schaffen ?? Kann mir das vielleicht mal jemand näher erklären? Vielleicht verstehe ich ja nur irgendwelche mir unbekannten Zusammenhänge nicht so richtig? http://blog.klausenerplatz-kiez.de/archi.. ?? |
Nr. 11, neu, 30.05.2012 - 20:39 "Konsequentes Handeln wird vielfach durch einen Aktionismus ersetzt, der durch ein lebhaftes "Greenwashing" seitens einflußreicher PR-Abteilungen begleitet wird" http://www.dielinke-charlottenburg-wilme.. |
Nr. 14, maho, 01.06.2012 - 20:54 Die einzige Aussage der grünen Stadträtin im “Spiegel” (Der Spiegel – Nr. 20 vom 14.5.2012) war der uns schon hinlänglich bekannte Spruch: “Global denken – lokal handeln”. http://blog.klausenerplatz-kiez.de/archi.. Der Begriff “Global” steht doch wohl für den ganzen Erdball (Globus), also auch für weit entfernte Erdteile, auf die sie keinen direkten Einfluss hat. Große Grünflächen sollen also ev. im Bezirk abgeschaffen und auf einem ½ km² des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf soll ein sog. “Ökokiez” geschaffen werden. Die grüne Stadträtin ist jedoch Umweltstadträtin für den ganzen Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf – also sozusagen ( teil- ) global-bezirklich verantwortlich und mit dem entsprechenden Einfluss ( aus- ) erwählt. Ist also das geforderte globale Denkvermögen in der Realität quasi doch noch sehr viel begrenzter? Oder verstehe ich schon wieder irgendwelche Zusammenhänge nicht? |
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Investigative Recherche von bester Qualität
Danke Michael, dass Du so hart "dran" bleibst.Das parlamentarische System ist bereits seit langem (wahrscheinlich nie gewesen)nicht in der Lage ihre eigenen "Sumpfblüten" aufzudecken.Wie könnte es denn auch, wenn persönliche,Parteien und Lobbyisten Interesse so nahe beinander liegen.Die "Initiative Stadt Neudenken" ist auf dem richtigen Wege-in unserem Sinne: über bürgerschaftlichem Engagement Fehlentwicklungen nachzuweisen.
http://www.taz.de/1/berlin/tazplan-progr..
s.a.das verdienstvolle Wirken des Ökumenischen Zentrums in der Wilmersdorfer Str.
http://www.oekumenischeszentrum.de/index..
Ich befürchte, dass die völlig überschätzen Piraten da weit weniger "liefern" werden.Meinerseits wird demnächst ein Beitrag zur "Baupolitik" des Bezirkes im blog erscheinen.
Weiter so, unser aller Unterstützung hast du !