Als mich die Redaktion des renommierten Kiezer Weblog dazu einlud, die heiße Phase des Wahlkampfs durch eine Wahlempfehlung noch weiter aufzuheizen[*], lehnte ich im ersten Überschwang der Gefühle entsetzt ab. Nach reiflicher Überlegung habe ich mich jetzt entschlossen, keine Empfehlung zu schreiben, sondern stattdessen meinen persönlichen Eindruck von den zwei aussichtsreichsten Direktkandidaten zu vermitteln – in streng alphabetischer Reihenfolge der Parteien.
Mir liegt dabei nicht daran, mich über ihre Parteiprogramme auszulassen oder über Herrn Gröhlers zwei Plakatwellen (Morgenpost, 7.9.2013, S. 14) beziehungsweise wer denn das mysteriöse Wir ist, das auf Frau Radziwills Plakaten ganz klein links unten entscheidet. Ich beschränke mich auf die Art und Weise, wie die zwei Kandidaten auf Fragen reagierten, die ihnen in den Wochen und Monaten vor der Bundestagswahl – also in einer Zeit, in der Politiker eher schon mal mit den Bürgern reden – öffentlich gestellt wurden. Es geht also um ihre Diskursfähigkeit mit politisch Andersdenkenden, auch gern Streitkulturkompetenz genannt. Auch wenn dies ein persönlicher Eindruck zu sein scheint, so sind die zugrundeliegenden Fakten doch jederzeit im Netz nachprüfbar.
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MichaelR - Gastautoren, Politik -
Im Mai 2013 erschien mit neun Monaten Verspätung der Bibliotheksentwicklungsplan, mit dem Stadtrat und Bundestagskandidat der CDU Gröhler sich für eine bezirkliche Zentralbibliothek einsetzt; kurz darauf zog Anfang Juni ein Kommentar das Fazit: „Die BVV sollte ihm in den Arm fallen.“ Hat sie das bisher getan? Was haben die dort ansässigen Parteien bisher überhaupt getan, soweit es der Bürger und Büchereibenutzer erfahren durfte?
Da gab es zunächst eine Große Anfrage von SPD/Grüner Partei/Piratenpartei (DS 0640/4), die auf der Juni-BVV (13.6.) beantwortet wurde und die nur eine Frage mit Bezug auf eine Zentralbibliothek enthielt:
„3. Wie müssen sich der Personalstand und der Personaletat verändern, um in einer Zentralbibliothek, die in einem Einkaufszentrum [gemeint: Wilmersdorfer Arcarden] verortet ist, die gleichen Öffnungszeiten zu gewährleisten, wie die umliegenden Geschäfte?“
Das ist nicht gerade eine kritische Frage zu Herrn Gröhlers Bestrebungen. Alarmierend ist jedoch seine Antwort: Mindestens mehr als 15 Stellen, bei optimalen Bedingungen. Und das, wo der Bibliotheksentwicklungsplan (S. 11) für die augenblicklichen sieben Bibliotheken 15 Bibliothekare und 13 Assistenten als erforderlich ansieht: Wie soll da neben einer solchen Zentralbibliothek noch eine nennenswerte Anzahl von weiteren Bibliotheken übrigbleiben? Von den fünf Parteien der BVV war dazu noch nichts öffentlich zu hören. (1)
Wenige Tage später, am 18.6., traf sich der Kulturausschuß zu einer Sitzung, auf deren Tagesordnung (TOP 4) zwar der Bibliotheksentwicklungsplan stand - aber es gibt kein Protokoll dazu, was auch kein Wunder ist, denn der Verlauf war zu peinlich: Es gab keine eigenständige Auseinandersetzung unter den Bezirksverordneten (unter Herrn Gröhlers Augen mit seinem vierköpfigen Gefolge, je zwei zu seinen Seiten plaziert), vielmehr nur ein müdes Nachgeplänkel zur BVV-Sitzung der vorhergehenden Woche à la „Was ich noch sagen wollte …“ – stattdessen verhinderten sie aktiv die notwendige Diskussion, indem sie einen Gastredebeitrag von vier Minuten Dauer gleich dreimal unterbrachen und kurz darauf per Geschäftsordnungsantrag den Tagesordnungspunkt beendeten. Um hier Wiederholungen zu vermeiden: in Kommentar Nr. 1 lassen sich die Einzelheiten nachlesen.
Und dann hatte der Kulturausschuß vor ein paar Tagen, am 4.9., eine weitere Sitzung. Laut Tagesordnung beschäftigte man sich mit der Einrichtung eines Bibliotheksbeirats und der weiteren finanziellen Austrocknung der Bibliotheken im Bildungsbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf – beides wichtige Punkte, insbesondere weil dieser Bezirk mit Abstand am wenigsten für die Ausstattung seiner Bibliotheken tut. Aber die Beschäftigung mit dem Bibliotheksentwicklungsplan selbst hatte die Vorsitzende auf die Tagesordnung zu setzen vergessen.
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MichaelR - Gastautoren, Politik -
Mit Genehmigung des OEZBerlin Verlages drucke ich für diese Sonderausgabe meines Rundbriefes zwei Seiten ab aus dem Buch „Erschütterungen – der Versuch eines Lebens“, Ute Becker, erschienen im OEZ Berlin-Verlag, Inhaber Detlef W. Stein, Hubertusstraße 14, 10365 Berlin, 2010, ISBN 978-3-940452-31-3, Broschur, 14 x 21 cm, 432 Seiten, 19,90 €
Am 23. August 1943 begann die eigentliche Luftschlacht um Berlin, die unseren Kiez um den S-Bahnhof Charlottenburg sofort in Mitleidenschaft zog. Aber lesen Sie selbst:
„ ...
Mein Geburtshaus & die Luftschlacht um Berlin & die „Entleerung“ der Städte – Die Jahre 1943 und 1944
In der Mommsenstraße polarisierte sich die bürgerliche Welt. Die eine Hälfte der Bürger war zu „Ariern“, sogar zu Parteigenossen, aufgeblüht, die andere Hälfte der Bürger zu „Juden“, Unpersonen, verkümmert. Eine dritte Gruppe, die, die nicht ihr Fähnchen in den Wind des „Tausendjährigen Reiches“ hängten, waren hier in der Minderheit – wie in meinem Geburtshaus. Wer die Vormieter unserer Wohnung im zweiten Stock waren, kann ich nicht mehr herausfinden. Die Redaktion der „Jüdische Liberale Zeitung“ im 1. Stock musste ihre Räume bereits im Jahr 1933 aufgeben, in der dann eine Rechtsanwaltsfamilie, Parteigenossen, residierte. Die Familie Selig, die Berlin rechtzeitig, aber nicht freiwillig, verließ, hatte im 3. Stock gewohnt. Definitiv sind alle Wohnungen der jüdischen Nachbarn „freigemacht“ worden. 55.000 Juden, die vor dem Dritten Reich in Berlin wohnten, wurden fast alle deportiert und ermordet. Die „arischen“ Rechtsanwälte konnten sich den lukrativen Klientele-Kuchen ihrer 1.800 deportierten oder vertriebenen jüdischen Kollegen teilen; ihre Solidarität ließ deshalb zu wünschen übrig. Aus der Patentanwaltschaft wurden neunzig jüdische Kollegen aus Deutschland vertrieben. Mein Vater wird sich bewusst gewesen sein, dass durch die Eliminierung seiner als „Juden“ stigmatisierten Standesgenossen, die Klientele für ihn und die „arischen“ Patentanwälte automatisch größer wurde. Ein Onkel von Marcel Reich-Ranicki war einer dieser entrechteten Berliner Patentanwälte. Ich verfüge über Listen des Reichspatentamtes, in denen von Amts wegen ab 1938 die jüdischen Patentanwälte und „Mischlinge“ mit roter Tinte fein säuberlich ausgestrichen worden waren.
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Ute Becker - Gastautoren, Geschichte -
Kritische Anmerkungen zu einem Strassenfest im Bezirk
Am Samstag, den 24. August, ist es wieder so weit (s. Ankündigung im Blog), das allseits beliebte, bisher noch sehr familienfreundliche und nicht überbordende Fest (wie einst der Reichsstraßenrummel) in der Leonhardtstr. - zwischen Amtsgericht und Stutti - findet erneut statt.
Feiern ist gut und tut wohl... nur, bloß sich amüsieren kann auch seine Grenzen finden, wenn nämlich Kommerz und Rummel, wenn Gastronomie und Verkauf über Hand nehmen.
So weigern sich die Gewerbetreibenden des Festes in der Leonhardtstraße politische und soziale Stände zuzulassen, werden Initiativen vor Ort nicht eingeladen, sind Diskussionen nicht zugelassen.
Wollen wir Bürger das wirklich ? Auch bürgerschaftliches Engagement findet seinen Widerstand in borniertem "nicht über den Rand schauen" vieler BürgerInnen selber.
Es war von der GEW-Charlottenburg geplant mit der Schul- und Jugendstadträtin, Frau Jantzen, über den Start des neuen Schuljahres, über die Merkwürdigkeit - in Form und Art - der Umbenennung der Reformschule in der benachbarten Sysbelstr., auf einer Bühne zu debattieren. Nur Musik und Kleinkunst - kann, muß das reichen?
Kein Interesse, ja sogar Ängste vor Politisierung der Feierlichkeiten kommen da schnell zum Vorschein. So wird getrickst: Es mogeln sich beispielsweise die GRÜNEN auf den Stutti mit einer eigenen polizeilichen Anmeldung. Wahlen haben eine wichtige Funktion - mögen diese oft auch inhaltsleer betrieben werden.
Warum da nicht auch bezirkliche Themen mit aufnehmen und es dem Bürger überlassen, ob und wie er sich vor Ort mit wem einläßt? Kritisch wird es jedoch wenn der Stadtteiladen aus der Umgebung, die Kita um die Ecke, die Initiativen im Kiez keine Berücksichtigung, keine Selbstdarstellungsgelegenheit erhalten. Immerhin darf die ev. Kirchengemeinde vom Lietzensee kommen.
In den letzten Jahren haben Kinder eigenmächtig vor dem eigenen Haus ihr Spielzeug verkauft oder getauscht. Es gab Sammlungen zum Einwohnerantrag in der BVV zum Erhalt des Gaslichtes, ebenso Unterschriftenlisten zur Rettung der Kudammbühnen. Auch die BI-Stuttgarter Platz, die Initiative Ehrung Siegfried Kracauer waren bereits Gäste vor dem Haus - aber von Anwohnern eingeladen, jedoch nicht offiziell auf dem Fest vertreten.
Auf dem Mierendorffest wird sich der langjährige Förderer und Sponsor, der Landkreis Osnabrück, zurückziehen, hat bereits dieses Jahr seine Teilnahme abgesagt und sich mit einer Restspende verabschiedet - obwohl eine Partnerschaft zwischen den beiden Städten besteht und die Osnabrücker Str. am Platz jahrelang allein Motivation genug war. Die Gründe der Trennung sind diffus. Sicherlich wird auch die kritische Haushaltssituation der Kommunen eine Rolle gespielt haben, aber auch der Personalwechsel im Rathaus der Stadt.
Joachim Neu - Gastautoren, Gesellschaft -
Gewerkschaft GEW macht ernst: Heute und Morgen ganztägiger Warnstreik der angestellten Lehrer - auch in Charlottenburg-Wilmersdorf
Aber keine Angst, oder Freude, liebe Schülerinnen und Schüler. Nur teilweise wird der Unterricht ausfallen. Von den Lehrerinnen/Lehrern sind (noch) 20 000 verbeamtet und nur 9000 sind angestellt.
Und Beamte dürfen nunmal nicht streiken. Das bedeutet, nicht alle Schulen werden betroffen sein, vor allem weil nicht alle (wenn auch die Mehrheit) gewerkschaftlich organisiert sind.
Einen gelungenen Auftakt gab es bereits gestern, als die Personalversammlung der Charlottenburg-Wilmersdorfer Pädagogen sich so richtig in Stimmung brachte, um heute dem Schulsenat die Leviten zu lesen.
Demonstrationen per Pedes und per Velo, Kundgebungen und robuste Widerstandshandlungen vor Ort, sprich Schule, gehören zum einschlägigen Repertoire der Gewerkschaften.
Grundsätzlich gilt - wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen - Bildung soll billiger werden, nicht wie die einschlägigen Werbetrommeln der Parteien verlauten lassen: Lehrer stärken.
Es geht nicht nur um einen Tarifvertrag für die angestellten LehrerInnen, es geht auch um Gesundheitsschutz für die älteren KollegInnen, um den Arbeitszeitbetrug durch die Abschaffung der Arbeitszeitkonten ohne Kompensation, was eine jährliche Mehrarbeitsbelastung um 7 Tage bedeutet. Und hier sind dann auch die Beamten betroffen und werden sich zumindest solidarisieren und so gut es geht, außerdienstlich an den Gewerkschaftaktivitäten beteiligen.
Joachim Neu - Gastautoren, Gesellschaft -
Aufgrund der von mehreren Zeitungen aufgegriffenen Pressemitteilung des Bezirks, mit der Zeitzeugen für den Mord an einem 17jährigen am Kriegsende gesucht werden, haben uns Berichte über Morde an kriegsunwilligen Soldaten auch in anderen Teilen der Stadt erreicht. Wir drucken sie hier ab und danken den Verfassern sehr herzlich dafür, daß sie bereit waren, uns ihre Erinnerungen zur Verfügung zu stellen.
Dominicus-/ Ecke Hauptstraße
Es war Ende April 1945. Wir, also mein Mann, unser Kind und ich, wohnten damals vorübergehend bei meinen Schwiegereltern in Friedenau. Wir wollten von der Rheinstraße zum Bayerischen Platz, um dort im Geschäft der Schwiegereltern nachzuschauen, ob etwas kaputt ist oder noch alles in Ordnung. Es fuhren ja keine Busse, da hat uns ein Mann in seinem Auto ein Stück mitgenommen bis zur Kreuzung Dominicusstraße. Wir sind an der Kreuzung ausgestiegen, und das war genau neben einem toten Soldaten, der an einer Laterne hing. Er hatte ein Schild um, darauf stand: „Ich war zu feige, für Frau und Kinder zu kämpfen.“ Ich war erschüttert, ich war ja noch jung. Der Schock sitzt noch heute in mir.
So etwas ist ja sehr oft gewesen zu diesem Zeitpunkt.
E. B. (1.8.2013, aufgezeichnet von MichaelR)
Seit 1985 gibt es dort eine Gedenktafel auf dem Mittelstreifen in Richtung Süden.
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MichaelR - Gastautoren, Geschichte -
Eilmeldung aus der BVV im Rathaus Charlottenburg:
SPD wird von der Mehrheit der Verordneten "abgewatscht"
Kracht jetzt die rot-grüne Zählgemeinschaft: SPD-Fraktionsvorsitzender wirft GRÜNEN Harakiri-Politik, Opportunismus und Unzuverlässigkeit vor.
Wechselt Dr. Heise (GRÜNE) und Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschuß zur SPD ?
Die Tribüne des Festsaales war bei heißen Temperaturen von Oeynhausen-Kolonisten überfüllt. Eine nervöse und wenig souveräne, ja autoritär agierende BVV-Vorsteherin (Frau Stückler) drohte bei der leichtesten Unmutäußerung mit Sitzungsunterbrechung und fiel den Rednern bei geringster Zeitüberschreitung gnadenlos ins Wort.
Herr Schlosser von den Piraten scheint jetzt auch eine Parzelle in der Kolonie u besitzen, jedenfalls trat er im grünen T-Shirt mit Kolonie-Logo ans Pult, und die GRÜNEN scheinen entweder Kreide gefressen zu haben, oder die Basis hat ihnen die Leviten gelesen. Vielleicht haben sie auch nur dazugelernt. Jedenfalls hat fast die gesamte Fraktion (außer Dr. Heise) sich beidemal enthalten.
Der Einwohnerantrag ging mit 21 Ja, 12 Enthaltungen und bei 17 Nein-Stimmen für die Kolonisten aus.
Beim SPD-Antrag war es umgekeht: 22 nein, 17 ja, 11 Enthaltungen.
Das alles bei lautem Gejubel der Tribüne.
Herr Sommer und Herr Mahnke von den Kolonisten trugen schwerwiegende juristische Argumente verschiedener Anwaltssocietäten vor, die Sozialdemokraten polemisierten da eher, moralisierten und statt Gegengutachten trugen sie "Glaubenssätze" vor. Im Sinne von Schadensersatzbefürchtungen oder der Beschwörung vollständiger Bebauung.
Klar: auch der Wahlkampf schwebte über der BVV. Es war offensichtlich, dass der hohe Wert der Bürgerbeteiligung und die fortwährenden Komplimente an die Bürger nach der Wahl überprüft werden sollten.
Ob der Senat die Oenyhausen-Bebauung an sich ziehen wird, steht im Raum. Der Bezirk wäre aus dem Schneider, doch die Totalbebauung bliebe als Gefahr der Kleingarten-Kolonie erhalten.
Joachim Neu - Gastautoren, Politik -
An der Außenwand des Edeka-Geschäfts in der Blissestraße 36 sind mehrere Wechselrahmen für Werbung angeschraubt. In einem davon steckt ein Plakat, das auf einen Film im nahegelegenen Eva-Kino hinweist. Man könnte auch sagen: Hier unterstützt ein ehemaliges Kino ein noch existierendes.
1945 gab es auf der Blissestraße gegenüber der Einmündung der Hildegardstraße
eine vier Häuser lange Kriegslücke. 1957 baute Herr Lehmann sen. dort ein Kino, das
Savoy, das zunächst isoliert da stand.
Das Savoy gehörte damals mit seinen 651 Plätzen zu den größten Kinos Westberlins. Es gehörte auch zu den
modernsten, da es mit
Cinemascope ausgestattet war und ein Raumklang-System hatte mit Lautsprechern auf allen vier Seiten. Kassenknüller waren Monumental- und Sandalenfilme wie
Quo vadis?,
Das Gewand,
Die zehn Gebote und
Ben Hur, der Leinwandnackedeifilm
Liane, das Mädchen aus dem Urwald und natürlich
Die Brücke am Kwai (mit diesem unsäglich schneidigen
River-Kwai-Marsch, auch als
Klingelton erhältlich).
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MichaelR - Gastautoren, Geschichte -
Für fast alle von uns sind heutzutage SS und Waffen-SS verbrecherische Organisationen. Wie konnte da jemand freiwillig in die Waffen-SS eintreten, und das sogar noch kurz vor Kriegsende? Anhand der Fälle von Günter Grass und Erich Loest entstand 2006 eine breite Diskussion darüber. Schon Jahre davor (1984) hatte der damalige Bundeskanzler H. Kohl den Begriff der „Gnade der späten Geburt“ geprägt. Besser wäre, man spräche vom Zufall des Geburtsdatums und von dem Glück/Unglück, zu einer bestimmten Zeit aufgewachsen zu sein und gelebt zu haben. Wichtig erscheint dabei, welche Schlüsse man fürs spätere Leben daraus gezogen hat.
Im Zusammenhang mit der Erinnerung an einen 17jährigen Deserteur, der eventuell der Waffen-SS angehörte, wird diese Frage wieder aufkommen (immerhin war 1995 aus diesem Grund vom Bezirksamt Wilmersdorf ein Antrag auf eine Gedenktafel abgelehnt worden). Daher kann es nützlich sein, daß ein Zeitgenosse von ihm hier erklärt, wie er im April 1945 zur Waffen-SS gekommen ist.
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Siegfried Burmester - Gastautoren, Geschichte -
Laut einem Bericht der Berliner Morgenpost (29.07.2013) will der Senat (= Herr Müller, SPD) das Planungsverfahren für die Teilbebauung der Kolonie Oeynhausen sich vom Bezirksamt (= Herr Schulte, SPD) übertragen lassen, um endlich Nägel mit Köpfen zu machen, bevor der Einwohnerantrag zum Erhalt der Kolonie (am 15. August in der BVV) und der geplante Bürgerentscheid den Geschäften eines Investors und eines Wohnungsbauunternehmers einen Strich durch die Rechnung machen könnten. Der Senat begründet laut Morgenpost in einem Schreiben an das Bezirksamt die Eile damit, daß das (Bau-)„Vorhaben dringende Gesamtinteressen Berlins berührt“.
Man kennt das – die dringenden Interessen von Investoren und Wohnungsbauunternehmern sind gleichzeitig die dringenden Interessen dieses SPD-CDU-Senats und im Zweifel allemal dringender als das Interesse von zigtausend Bürgern, die Kolonie zu erhalten, deren eminente ökologische Bedeutung im übrigen derselbe Senat schon mehrfach betont hat.
Wer wird sich durchsetzen: die Seilschaft Schulte-Müller-Investoren oder die Bürger?
MichaelR
MichaelR - Gastautoren, Politik -
„Raumoptimierung“ von behinderten Heiratswilligen
Es gibt im Bezirk einen rollstuhlgerechten Saal für die standesamtliche Trauung: den Intarsiensaal im Rathaus Charlottenburg. Damit wird zum Ende des Jahres 2013 aber Schluß sein, denn die „Raumoptimierung“ von Stadtrat Gröhler (CDU) fordert weiteren Tribut.
Die „Raumoptimierung“ setzte bekanntlich anfangs des Jahres voll ein, als das Bezirksamt (SPD, GrP, CDU) aus Sparsamkeit das Rathaus Wilmersdorf abstieß – gegen den ausdrücklichen Rat von Fachleuten. Offenbar waren dem zuständigen Stadtrat Gröhler die Folgen egal – die weiteren Wege für viele Bürger und die Platzknappheit für die Beschäftigten (durchschnittlich 11 m² pro Kopf). Also braucht es jetzt Anmietungen, über deren Kosten letztlich keine Klarheit besteht. Und es muß an allen Ecken und Enden geschoben werden, zum Beispiel bei den heiratswilligen Behinderten. Und das geht so:
Der Nebenraum des Intarsiensaals, der bislang den Paaren als Warteraum dient, soll anderen Zwecken zugeführt werden – wie man hört, den Rathausparteien als Fraktionssaal dienen (stimmt das wirklich?). Da man den heiratswilligen Paaren nicht zumuten will, im Gang zu warten, ist im Prinzip dort Schluß mit Trauungen.
Man sieht: Wenn jemand erst einmal versucht, an Bürgern und Beschäftigten zu sparen, entsteht beim Stopfen des einen Loches immer ein anderes. Ob so jemand als MdB nützlicher ist? Wem?
Schandfleck von Gnaden der EU-Kommission
Die beiden Tafeln dort am östlichen Ende des Fennsees, nahe dem Friedrich-Ebert-Gymnsium, sie stehen mitten im Ausblick auf die Landschaft (Umwelt) und sind verschmiert und somit nur bedingt lesbar. Aber sie müssen genau dort im Weg stehen – und sie dürfen ein Schandfleck sein.
Das kommt so: Einst (Ende 2008 und Januar 2011) hatte die EU Geld spendiert, damit dort etwas für den Gewässerschutz getan würde. Eine der Bedingungen für solche Gelder der EU ist, daß gut sichtbar – deshalb mitten im Ausblick – eine Tafel angebracht werden muß, die diese Tat rühmt, und zwar auf immer und ewig. Lange hatten Bezirksamt und EU um deren Maße, Schriftgröße und Inhalt gerungen; das Ergebnis kann man vor Ort – wie gesagt – bedingt besichtigen.
Dann wurden die Tafeln beschmiert. Ihr Austausch aber kostet um die 10.000 €, wie zu hören ist – zu viel (zumindest an dieser Stelle) für den verschuldeten Bezirk. Also wandte sich das Umweltamt erneut an die EU – und diese entschied großmütig, die verunzierten Tafeln dürfen als Umweltschandfleck dort stehenbleiben.
MichaelR
MichaelR - Gastautoren, Politik -
Auf der Suche nach weiteren Informationen zu dem Mord an einem 17jährigen Deserteur habe ich in verschiedene Register des Friedhofs Wilmersdorf schauen können. Die folgende Liste von Toten ist nur ein winziger Ausschnitt aus der Zahl derjenigen, deren Name mit einem roten K = Kriegsgrab gekennzeichnet ist. Es sind jeweils angegeben das Alter der Toten und die Todesart, wie sie dort vermerkt ist. (*)
Auszug aus einem Abteilungsbuch des Friedhofs Wilmersdorf
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MichaelR - Gastautoren, Geschichte -
Ein Nachruf
„Als sie von der Bundesallee in die Saalfelder
Straße einbog, sah sie, dass die großen
Kastanienbäume dort den Krieg überstanden
hatten. Sofort ergriff sie ein Gefühl der
Geborgenheit und der Hoffnung, hier ein
neues Zuhause finden zu können.“ (1)
Der Anfang
Am 3.10.1912 wurde die Straße 18 – seit 1885 eine Verbindung zwischen Koblenzer (damals Coblenzer) Straße und Bundesallee (Kaiserallee) längs dem Damm der Ringbahn – in Saalfelder Straße umbenannt. Sie erhielt ihren Namen allerdings nicht, um die Stadt Saalfeld/Saale im Thüringischen als solche zu ehren, sondern weil dort 106 Jahre zuvor, am 10.10.1806, der preußische Prinz Louis Ferdinand (2) im sogenannten ‚Gefecht bei Saalfeld‘ zu Tode gekommen war – vier Tage vor den eigentlichen Schlachten bei Jena und Auerstedt, in denen die preußischen Truppen eine schwere Niederlage gegen die napoleonischen erlitten.
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MichaelR - Gastautoren, Geschichte -
So sieht es heute noch an der Kreuzung von Wundtstraße und Horstweg aus
– aber nicht mehr lange, wenn es nach den Plänen von Stadtrat Schulte geht: Hier soll ein
„Stadtplatz“ zur Beruhigung des Verkehrs und als Treffpunkt der Bürger entstehen. Das ist schon seine 450.000 € wert.
Ebenfalls in Charlottenburg, auf der Rückseite des Rathauses, an der Abzweigung der Loschmidtstraße von Alt-Lietzow gibt es auch solch eine dreieckige Verkehrsinsel. Sie sieht – nach Aussagen von Anwohnern – seit mindestens schon zehn Jahren so aus:
Dieses Gebilde ist wahrscheinlich in gewisser Weise auch zur Beruhigung des Verkehrs geeignet (der dort immerhin mit 30 km/h an einer Grundschule vorbeifahren darf – ganz im Gegensatz zur Nehring-Grundschule, wo nur Schrittgeschwindigkeit erlaubt ist). Aber ist das auch ein Treffpunkt der Bürger; ein Stadtplatz; Ergebnis von 450.000 € Steuergeldern? Wohl kaum, dafür aber abscheulich häßlich, Ausdruck von großer Gleichgültigkeit, wie es im Hinterhof des Rathauses aussieht, wo doch eigentlich der dörfliche Ursprung von Charlottenburg liegt.
Wie ist es möglich, daß das Bezirksamt bereit ist, für ½ km² vor dem Rathaus jetzt trotz aller Geldknappheit im Bezirk weitere 450.000 € an Steuergeldern – zusätzlich zu den 100.000 € in diesem und dem letzten Jahr für Poller, Schwellen usw. sowie bisher mindestens 117.400 € für einen „Ökokiez“ – auszugeben, während man hinter dem Rathaus seit über 10 Jahren einen behelfsmäßigen Zustand bestehenbleiben läßt? Man kann nur mutmaßen: Liegt es vielleicht daran, daß wer am lautesten schreit („Verkehrswerkstatt“), am ehesten etwas bekommt? Besonders, wenn man sich politisch nahesteht (SPD-Grünen-Klientel vor Ort < > SPD-Grünen-Zählgemeinschaft im Rathaus)? Und man gleichzeitig hofft, auf diese Weise die besten Voraussetzungen (im Horstweg) zu schaffen, um selbst in einer verkehrsfreien Sonderzone (Knobelsdorff- und Querstraßen) wohnen zu können?
So viele Fragen. Und noch eine: Wann wird der Schandfleck hinter dem Rathaus beseitigt, und wann hört die Bedienung der politischen Freunde vor dem Rathaus aufkosten der Steuerzahler auf?
MichaelR
MichaelR - Gastautoren, Politik -
Eine deutsch-türkische Liebe unter dem Hakenkreuz 1942 bis 1945
Der Aufruf an Zeitzeugen, die über den Mord an dem 17jährigen Ende April 1945 Kenntnisse haben, fördert weitere Berichte aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges zutage. Der folgende Text ist das Exposé eines Filminterviews mit einer heute 90jährigen Berlinerin, aufgenommen 2009.
Ömer, ein Student aus der Türkei, und Dora, ein junges Mädchen, begegnen sich in Berlin während des Zweiten Weltkrieges. Da das „Ariergesetz“ eine Heirat Doras mit einem Türken, einem sog. Nicht-Arier, verbietet, wird Ömer eine Eheschließung unter der Bedingung, dass er für die Gestapo arbeite, in Aussicht gestellt. Er lehnt ab.
Die Rassenpolitik spaltet die Familie Doras: Der Bruder Werner, der zehn Jahre älter und Soldat an der Ostfront ist, bricht mit ihr, ebenso eine Tante, die mit einem Polizisten verheiratet ist, während andere Verwandte jedoch zu ihnen halten.
Als Dora im fünften Monat schwanger ist, wird sie, eine Angestellte im Auswärtigen Amt, aus „ rassischen“ Gründe fristlos entlassen.
Auf einer Reise an den Bodensee werden sie in Bregenz als Spione verdächtigt und von der SS in Haft genommen. Dora, hochschwanger, bleibt einen Tag in Haft, Ömer als türkischer Staatsbürger eine Woche.
Das Kind, 1943 geboren, darf den Namen Ismet nicht erhalten, sondern muß einen deutschen Namen annehmen. Es wird als Viktoria B. geboren, jedoch ist der Vorname eine beabsichtigte Anspielung auf das „victory“-Zeichen der Alliierten.
Die Kriegserklärung der Türkei an Deutschland am 23.2.1945 hat zur unmittelbaren Folge, dass Ömer als Staatsbürger einer feindlichen Nation sofort ausgewiesen wird.
Nach neun Jahren muß Ömer, der inzwischen an der Berliner Universität zum Dr. rer.pol. promoviert worden war, innerhalb einer Woche Deutschland verlassen. Er tritt eine ungewisse Reise auf dem Schiff nach Istanbul an. Dora bleibt mit dem Kind in dem brennenden und belagerten Berlin zurück.
Dora, 90-jährig, ist vermutlich die einzige lebende Zeitzeugin, die als Betroffene über die rassistische Politik der Nationalsozialisten gegenüber Türken (damals eine kleine Schar von Studenten und Kaufleuten) berichten kann. Die Ironie der Geschichte ist, dass heute ca. 3 Millionen Türken – nach der Sprachregelung der Nazis „Nicht-Arier“ – in Deutschland leben.
V.R.
Wer mit der Zeitzeugin in Kontakt treten möchte, wende sich bitte per Kontaktformular oder per E-Mail an das Kiez-Web-Team.
V.R. - Gastautoren, Menschen im Kiez -